Der Blick in die Breite des Sports zeigt: Das Bild des Fußballmillionärs Mesut Özil über angeblich misslungene Integration spiegelt sich an der Basis nicht wider. Trotzdem ist auch bei den Jugendkickern nicht alles Gold, was glänzt.

Stuttgart - Im Jahr 2009 war die Welt des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) noch heil. Zumindest sollte der damalige Integrations-Spot diesen Eindruck erwecken. Fröhliche Menschen unterschiedlicher Herkunft feiern eine Gartenparty, sprechen türkisch, essen Shishkebab und bilden eine große Einheit. Dann kommt die Stimme aus dem Off und fragt: „Was haben alle diese Menschen gemeinsam?“ Antwort: „Ihre Kinder spielen in der Fußball-Nationalmannschaft.“ Der Clip sollte schon damals Symbol einer gelungen Integration sein. Die Kinder sollten es beweisen: Khedira, Podolski, Cacau und und und.

 

Die aktuelle Debatte um den Rücktritt von Nationalspieler Mesut Özil erschüttert solche Heilewelt-Szenarien, die der DFB auch in den folgenden Jahren immer wieder in Szene setzt, nachhaltig. Die Causa Özil und ihre Wirkungen kratzen am Mythos der gelungenen Integration in der (Inter-)Nationalmannschaft. War also alles nur ein schönes Märchen aus der Welt der Fußballmillionäre? Und herrschen auch an der Basis tagtäglich versteckte Ausgrenzung oder gar offener Rassismus?

Bunte B-Jugendmannschaft

Hinein in den Mikrokosmos des württembergischen Jugendfußballs: Juni 2018, Stadion Frickenhausen, Kreis Esslingen. Menschen unterschiedlicher Herkunft kicken zusammen, fühlen sich verbunden. Etwa ein halbes Dutzend Jungs mit deutschen Eltern, einer von ungarischer Herkunft und acht Buben, deren Wurzeln in der Türkei liegen. Wahrscheinlich ist kein Team in der B-Junioren-Bezirksstaffel bunter. Aber ist hier wirklich alles so heil, wie es der DFB gerne hätte?

Die Trainer meinen: „Grundsätzlich ja.“ Und die Jungs? Sie reden gar nicht darüber, sie leben es. Ohne Teamspirit hätten sie in der abgelaufenen Saison vermutlich den Klassenverbleib in einer bärenstarken Staffel nie geschafft. Aber Fynn, Ibrahim, Christian, Nico, Yusuf, Marvin, Richie, Lukas, Eymen, Tunahan, Harun, Faruk, Emircan, Alican und andere halten in jedem Spiel zusammen. Wie Pech und Schwefel. Sie sind eine Mannschaft. Sie meistern die Herausforderung – auch weil die Integration gelungen scheint. Oder etwa nicht?

Wer mit einem reinen Ja antwortet, lügt. Das wahre Leben, der echte Fußball, lässt sich in kein Klischee pressen. Weder in eine idealisierte noch in eine pessimistische Vorstellung von Integration. Natürlich gibt es auch in dieser Mannschaft Reibereien und Missverständnisse. Natürlich bleibt es nicht aus, dass die acht Deutsch-Türken immer mal wieder in der Sprache ihrer Väter flachsen oder fluchen, und der Rest sich ausgeschlossen fühlt. Und natürlich ist auch hier der Grat zwischen Argwohn und Vertrauen schmal. Ein falsches Wort, zur falschen Zeit, kann einen bösen Verdacht auslösen. So wie bei Mesut Özil: Deutscher ist man, wenn man gewinnt, und ein Immigrant, wenn man verliert. Oder: Wenn ihr nach unserer Pfeife tanzt, seid ihr okay, sonst üble Menschen, die in ihrer Parallelgesellschaft bleiben wollen.

Schmaler Grat zwischen Vertrauen und Argwohn

Ramazan Cakir (44), der Vater der beiden Brüder Alican und Emircan, beschreibt dieses Gefühl gut, weil er es selbst erlebt hat. Früher in der E- und D-Jugend hätte der Opa eines Mitspielers seinem Enkel irgendwann verboten, weiterhin im Verein Fußball zu spielen. Warum? „Zu viele Ausländer“, soll der Deutsche hinter vorgehaltener Hand gesagt haben. „So etwas wirkt nach“, sagt Cakir. Es schürt Misstrauen. Und gibt einem diese am liebsten verdrängte Ahnung: Nein, ich kann machen, was ich will, ich werde nie dazugehören. So fühlen selbst jene, die integriert sind.

So wie Vater Cakir, der in Deutschland geboren ist, bei Porsche arbeitet und seine Jungs nach den Werten der Verfassung erzieht. „Ich nehme es als Kompliment, wenn man über unsere Mannschaft sagt, sie sei ein Beispiel für gelungene Integration“, sagt er und gibt zu Bedenken: „Wir können uns nur soweit integrieren, wie wir es dürfen.“ Was er damit auch meint: „Ich kann Werte annehmen und mich der Mentalität anpassen. Aber assimilieren kann ich mich nicht.“ Das hieße, sich und seine türkischen Wurzeln zu verleugnen. Daher wünscht er sich vor allem eines: „Respekt.“

Respekt. Kaum ein Wort taucht in der Debatte um Özil und Ilkay Gündogan öfter auf. Özil und Gündogan wollten dem türkischen Präsidenten Erdogan angeblich respektvoll begegnen. Gleichzeitig scheint für viele Migranten oder Deutsche mit migrantischen Wurzeln die Verletzung des Respekts eine rote Linie zu sein. „Ich muss ihn zeigen – und man muss ihn mir entgegenbringen“, sagt Cakir. Tatsächlich scheint dieser Spannungsbogen oft zu reißen. Dann wird im Fußball, den man gerne als Brennglas des Alltags bezeichnet, aus einem Miteinander der Kulturen ein unversöhnliches Gegeneinander. Sonst müsste der Verband keine Gewaltpräventions-Kurse mit dem Hamburger Partner „Zweikampfverhalten e.V.“ anbieten.

Dass es aus Mangel gegenseitigen Verständnisses zu Konflikten kommen kann, ist aus Sicht des Experten kein Wunder. Martin Hägele, seit 1985 im WFV-Trainerlehrstab und heutiger Sportvorstand des FC Esslingen glaubt: „Man kann Menschen nur dann integrieren, wenn man sie führen kann.“ Genau daran fehlt es im Breitensport. An ausreichend kompetentem Personal. „Beim WFV haben wir erkannt, dass wir die Sozialkompetenz der Trainer erweitern müssen.“ Man müsse den Trainern und Funktionären das Handwerk vermitteln, „wie sie mit unterschiedlichen sozialen Schichten, Kulturen oder bei der Inklusion von Behinderten umgehen müssen“. Das werde wichtiger als die Grundlagen des Ballgewinnspiels zu vermitteln.

WFV schult Sozialkompetenz

Tatsächlich hat der WFV darauf reagiert. Mit einem Lehrgang mit dem Titel „Sozialkompetenz des Trainers“. Oder der Schulung „Integration im Fußballverein“. „Integration beruht auf Gegenseitigkeit“, sagt Florian Frentz, WFV-Abteilungsleiter Qualifizierung: „Wir sensibilisieren seit Jahren die Akteure.“ Nur wer Unterschiede erkenne und Regeln akzeptiere, könne ein Teil des Spiels sein. Besser gesagt: ein Teil der Gesellschaft. Und die lässt sich zwar in schönen Video-Clips darstellen, ist in Wirklichkeit aber viel facettenreicher als mancher Millionär in kurzen Hosen glauben will.