Die deutschen Schwimmer bleiben bei den Olympischen Spielen in Rio ohne Medaille. Das ruft nach Konsequenzen. Fragt sich nur, welche.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Rio - Als die letzte deutsche Medaillenhoffnung im Olympic Aquatics Stadium von Barra schwerfällig aus dem Wasser stieg, war das ernüchternde Abschneiden der Schwimmer so gut wie perfekt: Null Medaillen! So wird es wohl ausgehen. „Es ärgert mich, dass ich nicht mehr geben konnte“, sagte Marco Koch nach seinem siebten Platz über 200 Meter Brust. Auch den Staffel-Genossen von Paul Biedermann, die dem 30-Jährigen den Abschied von der Sportbühne mit seiner ersten Olympia-Medaille versüßen wollten, kamen zum gleichen Ergebnis. Sie hätten „nicht mehr geben können“, sagten Florian Vogel und Christoph Fildebrandt unisono. Und auch das hatten sie gemeinsam in der Nacht der Enttäuschung: Sie heulten. Sie hatten versagt. So fühlten sie sich.

 

Diese Tränen waren sinnbildlich für die unbefriedigende Lage im Deutschen Schwimm-Verband (DSV): Man kommt der Konkurrenz nicht hinterher, das steht unterm Strich fest. Als Britta Steffen bei den Spielen 2008 in Peking zwei Goldmedaillen holte, war die Welt noch in Ordnung. Vier Jahre später in London gab es acht deutsche Finalteilnahmen, doch kündigten sich die schwierigen Zeiten damals schon an: Null Medaillen! Und in Rio rutschten die deutschen Schwimmer vollends ab in die Bedeutungslosigkeit.

Der Bundestrainer will nicht hinwerfen

Sie kraulen nur noch mit, die Krise ist da – mal wieder, aber diesmal ist es viel schlimmer. „Am meisten tun mir die Fans leid, die nachts um drei aufstehen, um sich sowas anzuschauen“, konstatierte der Bundestrainer Henning Lambertz und schämte sich für das Abschneiden seiner Schwimmer. Nun ruft die Rio-Pleite die ehemaligen deutschen Kraul-Größen und heutigen Experten auf den Plan. Das ist der übliche Reflex. Es muss was passieren, das fordern sie.

„Es ist Zeit, einen massiven Kurswechsel einzuleiten, aber wir reden schon seit Jahren über einen Kurswechsel“, sagt etwa die ARD-Expertin Franziska van Almsick. „Erfolg hat drei Buchstaben: TUN. Nicht tot analysieren und reden, sondern hart arbeiten, und dazu gehören nicht nur die Athleten“, schreibt der ehemalige Freiwasser-Weltmeister Thomas Lurz der DSV-Chefetage und seinen Trainern ins Stammbuch. Die ganze Branche befindet sich in Aufregung, natürlich hat auch Chefcoach Lambertz den Ernst der Lage erkannt: „Das System muss sich ändern, sonst sind wir im Leistungsport nicht mehr existent.“

Die Schieflage, in der sich die Abteilung Leistungssport befindet, will der DSV-Cheftrainer aber nicht zum Anlass nehmen, jetzt alles hinzuwerfen. „Ich denke nicht darüber nach, das sinkende Schiff zu verlassen“, sagt der 45-Jährige, aber auch er müsse sich hinterfragen und möchte „auf keinen Fall“ die Schuld von sich weisen. Das Ziel ist klar: Lambertz will die deutschen Schwimmer bei den nächsten Sommerspielen 2020 in Tokio wieder da hinführen, wo sie einmal waren: An die Weltspitze. Stand heute ist das ein ambitioniertes Ziel.

Einige Veränderungen sind schon beschlossen

Gewisse Veränderungen haben der Bundestrainer und seine Leute jedoch schon in die Wege geleitet. So will sich der DSV von dem sogenannten Elite-Team verabschieden. Dieses bestand aus den Medaillenhoffnungen wie Paul Biedermann, Marco Koch und Franziska Hentke. In diesem System waren die Frontfiguren von den anderen Athleten mehr oder weniger isoliert, aber befreit von Zwängen, weil sie nach ihren eigenen Vorstellungen trainieren durften. Dieser Freifahrtsschein führte aber zu nichts. Also wird der DSV die Topleute wieder an die kurze Leine nehmen und in Trainingsfragen- und Planungen wieder mehr mitsprechen. Außerdem ist die Präsenz der Besten auch wichtig für die jüngeren Athleten.

Im Hinblick auf den Nachwuchs wurden auch schon Überlegungen angestellt. In einem Perspektivteam könnten die Talente gebündelt, besser betreut und gefördert werden. Das alles kostet Geld, nur so lassen sich die Konzepte auch verwirklichen. Deshalb wünscht sich Lambertz nach der Rio-Pleite, dass sich der DSV mit Geldgebern wie dem Deutschen Olympischen Sportbund und dem Bundesinnenministerium an einen Tisch setzt und über die Krise diskutiert. Dumm ist nur: ohne Medaillen gibt es meist weniger Förderung statt mehr – das ist möglicherweise ein Teufelskreis.

Also Marco Koch sich langsam wieder beruhigt hatte, richtete er seine Gedanken in die Zukunft. Bezüglich der Spiele in vier Jahren in Tokio werde er „bereits morgen“ wieder mit dem Training anfangen, sagte er noch und konnte endlich wieder etwas lächeln. Koch hat jetzt vier Jahre Zeit, aber auch dem Deutschen Schwimm-Verband geht es so. Da besteht die Gefahr, zu trödeln. Leisten können sie es sich nicht.