Der Medaillenspiegel ist mitnichten ein Spiegelbild für die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft, kommentiert Jochen Klingovsky – denn dafür sind die Ergebnisse in Rio zu fragwürdig.

Rio de Janeiro - Auch den größten Pessimisten sei gesagt: Es war eher unwahrscheinlich, dass die deutschen Sportler in Rio de Janeiro gänzlich ohne Medaille bleiben. Erlöst haben die schwarz-rot-goldene Olympia-Mannschaft schließlich die Vielseitigkeitsreiter um Michael Jung mit Team-Silber. Dass sich schon der vierte Wettkampftag der Sommerspiele dem Ende entgegen neigte, als es bei den deutschen Rio-Reisern erstmals glänzende Augen gab, ist allerdings ein Indiz – und zwar dafür, dass es womöglich mit den von den Funktionären eingeplanten 44 Medaillen am Ende nichts werden könnte. Schlimm wäre das nicht.

 

In den Medaillenspiegel zu schauen, mag zwar interessant und amüsant sein, er ist aber mitnichten ein Spiegelbild für die Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft – da gibt es ganz andere Probleme zu lösen. Ob er als Gradmesser für das Potenzial des deutschen Spitzensports taugt? Womöglich. Aber vielleicht tut man auch mit dieser Bewertung den Athleten, Trainern und Betreuern unrecht.

Es wird zwar niemand ernsthaft behaupten, dass im deutschen Sport alles sauber läuft. Aber so dreckig wie anderswo geht es sicher nicht zu. Ein staatlich gelenktes Dopingsystem in Russland, ähnliche Befürchtungen in China, keine funktionierenden Anti-Doping-Agenturen in Kenia oder Äthiopien, eine mehrwöchige Kontrollpause in Brasilien kurz vor den Spielen – das alles zeigt, wie fragwürdig viele Ergebnisse sind, die hier in Rio erzielt werden.

Freakshow im Schwimmbecken

Und wer sich die Freakshow im Schwimmbecken anschaut, der kann nur noch den Kopf schütteln. Da gibt es eine Weltrekordflut ausgerechnet in der Sportart, in der er es nach dem Ende der Ära mit den superschnellen Schwimmanzügen hieß, diese Zeiten könnten nie mehr verbessert werden. Und jetzt? Werden sie sogar pulverisiert. Wer sich 200-Meter-Freistil-Olympiasieger Sun Yang (China) ansieht, der muss zwangsläufig an den berühmten Bösewicht aus einem James-Bond-Film denken. Der überführte Doper erinnert eher an den Beißer als einen seriösen Schwimmer. Das ist fast schon unheimlich.

Was das heißt, wenn es um die deutschen Athleten geht? Dass jede Leistung für sich zu beurteilen ist. Und es natürlich schon ein Erfolg ist, persönliche Bestmarken zu erzielen und eigene Grenzen zu verschieben, wie auch immer der Wettkampf ausgegangen sein mag. Und allen Pessimisten sei gesagt: Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Medaille von Jung und Co. die letzte für das deutsche Team gewesen ist.

jochen.klingovsky@stzn.de