Das deutsche Eishockey-Nationalteam unterliegt im olympischen Finale den Russen mit 3:4 nach Verlängerung. Die Mannschaft um Bundestrainer Marco Sturm hat aber nicht Gold verloren, sondern Silber gewonnen – und hofft auf einen Schub für die Sportart.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Gangneun - Es war ein Stich ins Herz für Danny aus den Birken. „Es tat unglaublich weh“, sagte der deutsche Torhüter, als er die Szene beschrieb, wie das russische Team zum 4:3 getroffen hatte. „So ist das, aber das kann man eben nicht mehr ändern“, sagte der Goalie – und hatte völlig vergessen, dass eine Silbermedaille um seinen Hals baumelte. Kann passieren. Vor allem dann, wenn es Gold hätte sein können. Olympia-Gold für die deutschen Eishockey-Spieler, es wäre eine Wahnsinnssensation gewesen. Doch es war Silber. Weil Nikita Gusew 55,5 Sekunden vor der Schlusssirene zum 3:3 ausgeglichen hatte. Und weil Kirill Kaprizow nach 9:40 Minuten in der Verlängerung bei russischer Überzahl zum Endstand getroffen hatte.

 

Das erste Gefühl war tiefste Enttäuschung. Bei allen Spielern war vergessen, dass sie im Finale über sich hinausgewachsen waren, dass sie den Rekordweltmeister am Rande einer Niederlage hatten, dass sie maßgeblicher Part eines dramatischen Endspiels waren, das eines Olympia-Abschlusses würdig war. Zweimal waren die Deutschen zurückgekommen, die Führung von Watscheslaw Woinow 0,5 Sekunden vor der ersten Drittelpause glich Felix Schütz aus (30.); sogar das 1:2 von Gusew (54.) drehten die Deutschen mit Treffern von Domink Kahun (54.) und Jonas Müller (57.) in ein 3:2. Doch es fehlten 55,5 Sekunden zu Gold. „Natürlich fühlt es sich an, als hätten wir Gold verloren, nur 55 Sekunden waren es noch“, sagte Stürmer Marcus Kink, „aber ich glaube, wenn wir alles ein wenig sacken lassen, werden wir erkennen, dass wir Silber gewonnen haben.“

Auf dem Eis statt auf der Couch

Dieses 3:4 (0:1, 1:0, 2:2, 0:1) im mit 10 000 Zuschauern voll besetzten Gangneung Hockey Center war eine der engagiertesten Leistungen, die eine deutsche Eishockey-Nationalmannschaft je geboten hat. Wer sie im Vorfeld als Opfer der russischen Sbornaja apostrophiert hatte, der musste früh Abbitte leisten. „Wir haben ein super Spiel gemacht“, sagte Stürmer Yannic Seidenberg, „wir waren zeitweise sogar die bessere Mannschaft. Ich habe den Frust geschluckt und konnte mich schon freuen, als ich die Medaille bekam.“

Die Russen benötigten in der Verlängerung, in der vier gegen vier gespielt wird, eine Überzahl, um das Blatt für sich zu wenden. Patrick Reimer saß wegen hohen Stocks draußen. „Es war klar, dass sich die Russen diese Chance nicht entgehen lassen“, meinte Bundestrainer Marco Sturm, „das kenne ich aus eigener Erfahrung – in diese zwei Minuten legst du all deine Energie, um die Entscheidung zu erzwingen.“ Wenn ein Mann mit 1006 NHL-Spielen in den Knochen so etwas fühlt, weil er es sich zig Mal selbst als Profi erlebt hat, dann tritt es auch ziemlich sicher ein. Kaprizow machte den Sack zu.

Sturm ist keiner, der vergebenen Möglichkeiten nachtrauert, das hat er schon als Stürmer so praktiziert, er schaut nach vorn. „Normalerweise sitzen wir daheim auf der Couch und schauen das Olympia-Finale an“, sagte der 39-Jährige, „heute waren wir auf dem Eis. Wir haben mehr erreicht als wir erwartet haben – die Jungs sollen sich freuen.“

Die Hoffnung auf eine Signalwirkung

Natürlich war auch Franz Reindl stolz, der Mann hat beide olympischen Sternstunden des deutschen Eishockeys mitgeprägt. Bei Bronze in Innsbruck stand er 1976 auf dem Eis, beim Silber von Pyeongchang 2018 kann er für sich in Anspruch nehmen, den Trainernovizen Marco Sturm als Verbandspräsident zum Bundestrainer gemacht zu haben, um mit ihm einen neuen Weg zu beschreiten. Der erste Markstein ist gesetzt, es sollen weitere folgen.

Dieser Erfolg, so die Hoffnung, soll eine Initialzündung sein, die Sportart mehr ins Bewusstsein der Menschen zu rücken. Immerhin hatten 5,33 Millionen Menschen das Halbfinale gegen Kanada (4:3 n.V.) gesehen, eine solche TV-Quote für ein Eishockeyspiel gab es seit Ewigkeiten nicht mehr in Deutschland. „Es freut uns, dass wir eine Signalwirkung geben konnten“, sagte Moritz Müller, „ich hoffe, viele Eltern haben gesehen, was das für ein toller Sport ist und werden mit ihren Kindern bald in die nächste Eishalle gehen.“ Womöglich hatte der Stürmer der Kölner Haie vergessen, dass das Finale um 5.10 Uhr MEZ begonnen hatte – ein bisschen früh für Kids am Sonntag.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier drückt die Daumen

Die Unterstützung aus der Heimat hatten die Spieler mitbekommen; sie hatten über Social-Media-Kanäle erfahren, dass ihr Siegeszug Begeisterung auslöst. „Es wäre klasse, wenn das einen Schub auslösen würde“, sagte Christian Ehrhoff, „wir wären sehr stolz, wenn wir unser Land mitziehen könnten.“ Der 35 Jahre alte ehemalige NHL-Profi hatte bereits den ersten Mann der Republik für sich gewonnen: Bei einer Trainingseinheit in Pyeongchang hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Nationalmannschaft besucht und mit Ehrhoff ein Gespräch geführt. Nun meldete sich das Staatsoberhaupt vor dem Finale erneut beim Profi der Kölner Haie. „Ich wünsche weiterhin gute Laune, ein gutes Spiel, das richtige Ergebnis am Ende. Ich gucke zu“, hatte Steinmeier dem Crack versprochen.

Die guten Wünsche in Ehren, geholfen haben sie leider nicht – aber vielleicht spricht Ehrhoff mit Bundestrainer Sturm einmal beim Bundespräsidenten vor, damit sie ihm darlegen können, wie der der Sportart zu mehr Popularität verhelfen könnte.