In keiner Sportart sind die südkoreanischen Gastgeber erfolgreicher als im Shorttrack – das hat Gründe.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Pyeongchang - Choi Min-Jeong und Shim Suk-Hee sind so bekannt in Südkorea wie Currywurst, die Toten Hosen und Thomas Müller in Deutschland. Choi Min-Jeong und Shim Suk-Hee, das sind keine landestypischen Gerichte oder schrillen K-Pop-Sängerinnen – sie treiben Sport wie der Fußballer Müller. Ihr Metier ist die 111,12 Meter lange Shorttrack-Strecke; wenn die 19 Jahre alte Choi und die 20-Jährige Shim übers Eis flitzen, rasten ihre Landsleute aus, egal, ob sie Teenager sind oder zur Ü-50-Liga zählen.

 

Shorttracker sind Superstars – die 12 000 Zuschauer fassende Ice Arena in Gangneung, in der die acht Wettbewerbe von Samstag an stattfinden, war zum Jahreswechsel zu mehr als 80 Prozent ausverkauft. „Wann immer ich an die Winterspiele gedacht habe“, gab die zurückhaltende Choi Min-Jeong vor einiger Zeit zu, „wurde ich ziemlich nervös, weil es meine Heimspiele sind. Es ist aber auch eine tolle Gelegenheit, vor meinen Fans zu starten.“

Go for Gold!

Ihre Mission, die Mission aller südkoreanischen Starter, kann mit dem Song der Sommerspiele von 1988 in Seoul beschrieben werden: Go for Gold! Die Vorfreude auf das olympische Spektakel hat die Erwartungen ins schier Unermessliche gesteigert. Nur Gold ist gut genug. Ist auch kein Wunder. Südkoreaner haben seit 1992, als Shorttrack olympisch geworden war, von 53 Medaillen 42 eingesackt; 21 waren aus Gold. Auch in dieser Weltcup-Saison untermauerten sie ihre Vormachtstellung. In Budapest beispielsweise gingen sieben von zwölf Podiumsplätzen an die Olympia-Gastgeber. „Wir sind stark in dieser Saison“, bemerkte der Weltrekordhalter über 1000 Meter, der 18 Jahre alte Hwang Dae-Heong, „wir alle machen einen guten Job.“

Südkoreas Sterne in der Umlaufbahn! Dabei stellt sich jedoch die Frage: Warum sind die Südkoreaner so exzellent, wenn sie auf einer Rundstrecke um die Wette Schlittschuh-Laufen? Augenscheinlich besteht kaum ein Zusammenhang mit anderen Aktivitäten, in denen sie ebenfalls zur Weltspitze zählen wie Bogenschießen, E-Sports, Breakdance sowie Eiskunstlauf und Golf der Frauen; nicht zu vergessen die Produktion von Smartphones. Eine einleuchtende Erklärung liegt in der strategischen Planung des Sportministeriums. Als in den 1980ern die Regierungsriege sinnierte, in welcher Sportart die Nation Ruhm und Ehre erlangen könnte, was bislang nicht befriedigend geschehen war, entdeckte sie Shorttrack, das im Jahr 1992 olympisch werden sollte.

Geld war immer vorhanden

Also wurden großzügige Förderungen auf den Weg gebracht, um Schüler und Studenten anzulocken; es wurde Kurse angeboten sowie Stipendien an Universitäten – die ganze Palette, die einer Regierung zur Verfügung steht. Das nötige Geld war in der zunehmend wirtschaftlich prosperierenden Nation vorhanden. „Der Erfolg beruht auch auf unserer absoluten Disziplin“, sagt Simon Cho, ein US-koreanischer Ex-Shorttracker, „schon in jungen Jahren werden die Sportler in Technik und Taktik geschliffen.“ Er begann mit drei Jahren, der aktuelle Superstar Choi stand mit sechs auf dem Eis – und wenn Cho sagt „geschliffen“, dann meint er damit, dass es im Training mitunter nicht wirklich zimperlich zuging.

Mit harten Einheiten, mit endlos scheinenden Runden wird die sportliche Spreu vom Weizen getrennt. Cho erzählt, er sei damals „mit Eishockey-Schlägern traktiert“ worden. Überprüfbar ist der Vorwurf nicht, nachdenklich macht er dennoch – kurz vor den Spielen wurde ein südkoreanischer Trainer vom Verband suspendiert. Er soll Olympia-Starterin Shim Suk-Hee (20), ebenfalls eine Athletin mit Superstar-Status und Gold-Ambitionen, während einer Übungseinheit geschlagen haben.

Apolo war ein Staatsfeind

Dies mag verdeutlichen, dass Shortrack in Südkorea keine Fun-Sportart mehr ist, sondern eine Ersatz-Religion im Zeichen der fünf Ringe – sowohl für Athleten als auch die Fans. Viktor Ahn, der 2006 in Turin noch Gold für sein Geburtsland geholt hatte, ist eine Persona non grata, eine unwillkommene Person – er hatte sich nach einem Zwist mit dem Verband Russland zugewandt und war für seine neue Nation 2014 in Sotschi weitere dreimal Olympiasieger geworden. Oder nehmen wir US-Läufer Apolo Ohno. Der bekam den Staatszorn zu spüren, nachdem er 2002 bei den Spielen in Salt Lake City Gold gewonnen hatte – weil der Koreaner Kim Dong-Sung, der als Erster über die Ziellinie gefahren war, disqualifiziert wurde. Danach legten wütende E-Mails aus Fernost den Server des Olympischen Komitees der USA lahm, 2003 nahm das Shorttrack-Team der Vereinigten Staaten sicherheitshalber nicht am Weltcup in Korea teil, Apolo Ohno reiste schließlich erst 2005 wieder auf die Halbinsel. Dabei stand er die gesamte Zeit unter Polizeischutz.

Der heute 35-Jährige wird bei diesen Spielen in der Ice Arena von Gangneung erscheinen, er kommt als TV-Experte der NBC nach Südkorea. Staatsfeind Nummer eins ist Ohno nicht mehr. „Ich denke aber, dass die Shorttrack-Wettbewerbe noch aufregender werden, weil ich hier bin“, sagt er. Wahrscheinlich behält er recht.