Der Tübinger Olympiaarzt Matthias Baumann schreibt Geschichte in Nepal. Wie der Everest-Erstbesteiger Edmund Hillary baut er mit Spendengeld eine Klinik in Nepal.

Auch ohne Träume lässt sich leben. Aber eben nur recht und schlecht. Edmund Hillary dagegen träumte groß. Er wollte den höchsten Punkt der Welt erreichen. Und als ihm der Gipfelsturm am Mount Everest im Mai 1953 zusammen mit Tenzing Norgay Sherpa gelingt, hat er die Welt verändert. Er hat diesem Berg den Mythos der Unbezwingbarkeit genommen und ganze Generationen inspiriert. Bergsteiger und die Helden des Alltags wissen seitdem: Wer groß träumt, kann Großes erreichen.

 

Matthias Baumann (51) ist beides: kühner Bergsteiger und ein Held des Alltags. Auch er träumte schon als Kind davon auf 8848 Meter über dem Meeresspiegel zu stehen. Zweimal hat er es versucht, zweimal platzte dieser Traum wie eine Seifenblase. Am 18. April 2014, Baumann kampiert im Basislager und freut sich auf den Aufstieg, bremst ihn die Naturgewalt aus. Im Morgengrauen weckt ihn ein gewaltiges Donnern und Dröhnen. Ein Gletscherblock löst sich und bringt eine Lawine ins Rollen. Die Schneemassen begraben 16 Sherpas unter sich. Es ist das größte Unglück in der Geschichte des Bergsteigens am Mount Everest. Baumann ist wie gelähmt von Trauer und bricht seine Mission ab.

Die Luft geht aus

Es ist sein zweiter Rückschlag. Der erste im Mai 2011, ist noch schmerzhafter als der zweite. Der Tübinger Baumann hat es bereits auf 8650 Meter geschafft. Das Ziel ist vor seinen Augen. Aber in dieser Höhe geht ohne Sauerstoffflasche nichts mehr. Die letzten 198 Meter und letzten zwei Stunden braucht er die gepresste Luft, die ein Sherpa bis hierher für ihn geschleppt hat. Dann kommt der Schock. Die Flasche ist leer. Ein Missgeschick des Sherpas. Enttäuschung steigt in Bauman hoch. Er fühlt sich wie im falschen Film: „Ich musste bei bestem Wetter wieder absteigen, während meine Freunde weiter zum höchsten Punkt der Erde aufsteigen.“

Das Gipfelgefühl, das Edmund Hillary am Scheitelpunkt der Erde beschreibt, wird Matthias Baumann vielleicht für immer verwehrt bleiben. Ihm wird die Welt wohl nie zu Füßen liegen. Und doch hat er mit der Bergsteigerlegende aus Neuseeland gleichgezogen. Baumann, der Mediziner des deutschen Olympiateams und Chefarzt der SRH Kliniken in Sigmaringen, hat im Hochland von Nepal eine Klinik gebaut. Genauso wie Sir Edmund Hillary, der das bisher einzige Krankenhaus in diesem Gebiet 1966 errichten ließ. In Nepal werden nun beide in einem Atemzug genannt. Nicht als große Abenteurer, sondern als große Philanthropen.

620 000 Euro Spendengeld

Denn nachdem Matthias Baumann bereits drei Schulen im Khumbu-Gebiet und im Distrikt Sindhupalchok durch Spendengelder realisiert hat, ist nun auch das Himalayan Sherpa Hospital fertig. Der gebürtige Stuttgarter und frühere Spitzenringer hat es am 4. November auf 2800 Meter eröffnet. Es ist ein Kraftakt mit knapp sechs Jahren Vorarbeit, begleitet von mühsamen Spendensammeln. Am Ende kommen über 620 000 Euro zusammen. Und ganz ähnlich wie Hillary nach seinem Gipfelsturm meinte, „man muss kein fantastischer Held sein, um bestimmte Dinge zu erreichen“, so übt sich nun auch Matthias Baumann in Bescheidenheit. Man brauche eigentlich nur den Mut, etwas zu wagen. „Edmund Hillary hat mich schon als Medizinstudent fasziniert“, sagt Baumann, „schon damals dachte ich, es wäre schön, wenn ich mal etwas machen könnte, wie er. Einfach Menschen helfen.“

Nun hat er viel gewagt und die Herzen der Menschen gewonnen. „Denn für dieses Gebiet ist das Hospital enorm wichtig“, sagt Baumann, „es ist quasi von der Außenwelt abgeschnitten – Straßen gibt es nicht, Material und später auch die Geräte werden per Hubschrauber über die Luft angeliefert.“ Aus diesem Grund werden die Kranken von ihren Angehörigen in die Klinik mit ihren 15 Betten und zwölf Zimmern, einer Ambulanz mit Röntgengerät sowie und einem OP-Saal getragen. Auch verletzte oder verunglückte Bergsteiger sollen hier versorgt werden. „Dieses Projekt“, so Baumann, „ist durch und durch ein Menschen-Projekt.“

Kaum jemand kann die Bedeutung dieser Worte so gut verstehen, wie Baumanns Eltern. Sie haben ihrem Sohn diese Haltung und Werte mitgegeben. Sie haben Matthias, den Gipfelstürmer und Helden des Alltags geprägt. Charlotte (78), der Herzensmensch. Und Rudi (82), der Alpinist. Als alle drei am 4. November mit dem Helikopter auf dem Landeplatz des Himalayan Sherpa Hospitals aufsetzen, fließen Tränen bei der Mutter. Auch Vater Rudi erkennt die Bedeutung dieses Momentes und meint: „Das hier ist viel größer als der Mount Everest.“ Matthias Baumann nickt nur und antwortet: „Du hast recht. Der Gipfel ist ein egoistisches Gefühl.“

www.sherpanepalhilfe.de