Die Olympischen Winterspiele in Südkorea sind teuer erkauft – in jeder Beziehung, findet unser Autor Jochen Klingovsky.

PyeongChang - Manchmal schreibt das Leben seltsame Geschichten. Olympia 2014 in Sotschi wird immer in Erinnerung bleiben, weil dort jegliches Maß gesprengt wurde. Nie waren Winterspiele teurer (40 Milliarden Euro), nie wärmer (bis zu 19 Grad), nie verlogener. Ins Dopinglabor, in dem vor vier Jahren der russische Geheimdienst mutmaßlich positive Proben vieler seiner Athleten ausgetauscht hatte, ist mittlerweile eine Bar eingezogen.

 

Auf der Karte stehen, logisch, Cocktails. Allerdings nicht aus Medikamenten, sondern aus Alkohol. Sie tragen Namen wie Meldonium und B-Probe, sind gemixt aus Sambuca, Tequila und Tabasco. Bei allen, die nüchtern analysieren, muss so viel Selbstironie zu einem schweren Kater führen. Und auch den Herren der Ringe fällt es seit Sotschi sichtlich schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Immer noch.

Der Dopingskandal in Russland, wo es jahrelang ein staatlich gesteuertes Betrugssystem gegeben hat, ist zwar aufgedeckt. Aber noch längst nicht abgehakt. An diesem Freitag werden die Olympischen Winterspiele in Pyeongchang eröffnet (in unserem Newsblog halten wir Sie immer auf dem aktuellen Stand), doch die Entscheidung, welche unter Dopingverdacht stehenden russischen Athleten, die gegen ihren Bann geklagt haben, letztendlich starten dürfen, gibt der Internationale Sportgerichtshof Cas erst ein paar Stunden vorher bekannt.

An der Krise Olympias wird sich nichts ändern

Eine Posse, die sich Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), gerne erspart hätte. Und die er sich leicht hätte ersparen können. Doch das IOC versuchte, aus einem Dopingsystem, das den Betrug professionell vertuschte und positive Proben verhinderte, einzelne Sünder herauszufiltern. Ein Irrweg. Wäre das russische Team stattdessen komplett ausgeschlossen worden, hätte Olympia nun vorübergehend ein Problem weniger. Allerdings nur eines von vielen.

Es gibt wenig Zweifel daran, dass die Südkoreaner sehr gute Winterspiele organisieren werden. Aber auch dieses Spektakel auf Eis und Schnee ist teuer erkauft (rund zehn Milliarden Euro), und es wird nichts an der Krise Olympias ändern. Dem IOC sind Moneten wichtiger als Moral und Meinungsfreiheit, wer Olympische Spiele veranstaltet, muss Korruption, Kommerz und Kostenexplosionen einkalkulieren. Das kann man so hinnehmen. Oder neue Ideen einbringen.

Die Sportler allein sind in der Lage, ein neues olympisches Kapitel zu schreiben

Statt mit der Vergabe an Retortenorte immer wieder neue Märkte für Skifahrer und Snowboarder erschließen zu wollen und Olympia meistbietend an TV-Anstalten zu verkaufen, könnte das IOC ausnahmsweise mal eine wirkliche Reform ausrufen. Warum nicht vier, fünf echte Wintersport-Hochburgen in den Alpen, Skandinavien und Nordamerika aussuchen, die im Wechsel alle vier Jahre die Spiele ausrichten? Ohne exorbitante Eingriffe in die Natur. Ohne teure Hallen und Stadien, die nach zwei Wochen wieder abgerissen werden. Ohne Investitionen in die Infrastruktur, die sich nie refinanzieren lassen. Dafür mit einer Stimmung, die Athleten stimuliert und motiviert.

Träumerei? Mag sein. Aber vielleicht ja ein Modell, für das sich die Sportler erwärmen können. Das sie begeistert. Und das sie antreibt, endlich aufzustehen. Für ihre Interessen zu kämpfen. Für Fairness und Ehrlichkeit. Und sich zu wehren gegen den Ausverkauf der olympischen Idee. Gegen Doper. Gegen korrupte Betrüger. Wer, wenn nicht sie, hätte die Macht, etwas zu ändern? Ohne Athleten gibt es kein Olympia. Keine Milliarden-Einnahmen. Kein Spektakel. Ohne sie bewegt sich nichts. Und allein sie, das lehrt nicht nur die Geschichte von Sotschi, wären in der Lage, ein neues olympisches Kapitel zu schreiben. Sie müssen nur damit beginnen. Endlich.

jochen.klingovsky@stzn.de