2020 war das Jahr der Streaming-Shows. Das Beste kommt zum Schluss. Die Silvesterparty von Eric Gauthier aus dem Theaterhaus für YouTube ist meisterhaft inszeniertes Entertainment – und steckt an mit Hoffnung für 2021. Unsere Besprechung.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Die erste Late Night Show von Eric Gauthier, dem Tausendsassa der Stuttgarter Kultur, ist eine Last Night Show. Bei YouTube wird sie in der letzten Nacht eines Jahres ausgestrahlt, das man gern losgeworden ist. Bis zum ersten Morgen von 2021 haben sich 11 000 Menschen reingeklickt zu „Eric Gauthier & Friends – Welcome the New Year“ – das sind etwa zehnmal so viel, wie im T 1 des Theaterhauses reinpassen. Wenn das neue Jahr so wird wie diese herausragende Produktion vom Pragsattel, die man noch bis zum 10. Januar kostenlos im Netz sehen kann, wird es entspannt, turbulent, berührend, mitreißend – und vor allem hoffnungsvoll.

 

Tänzelnd betritt der 43-Jährige mit blauem Anzug und roten Socken bei einpeitschender Musik die Bühne und knallt gleich mal die Konfetti-Kanone los, sodass dem Publikum daheim (im Saal sind nur leere Reihen) im Nu klar wird: Da kommt großes Late-Night-Kino auf Stuttgart zu!

Die Charmingboy von Stuttgart ist in seinem Element

Doch nicht allein um Spaß geht es – Eric Gauthier will mit seinen 20 Gästen aus Ballett, Comedy, Politik, Kunst und mit Vorbildern des veganen Lebens (bei der siebenstündigen Aufzeichnung sind aus Corona-Gründen alle zeitlich versetzt aufgetreten) klare Botschaften aussenden. Die erste Botschaft: Die Kultur ist noch da! Die zweite Botschaft: Lasst Euch von der Hoffnung fürs neue Jahr anstecken.

Eric Gauthier kann tanzen, choreografieren, singen, jetzt beweist er fulminant, dass er auch noch Late Night Show kann. Sein Deutsch ist nicht immer perfekt („Kommt mit mich!“), doch dies macht den ewigen Charmingboy von Stuttgart so sexy. Hinzu kommt, dass ein absoluter Profi Regie führt: Michael Maschke, bekannt aus zahlreichen SWR-Produktionen, sorgt für perfekte Schnitte, für Details, für eine Produktion, die weit über das herausragt, was wir im Corona- Jahr an Streaming-Shows gesehen haben. Auch das Bühnenbild besticht durch seine bunte Fröhlichkeit.

Den ersten Auftritt des Tages haben der Arzt und die Sanitäter. In der Sporthalle des Theaterhauses müssen alle Beteiligten zum Corona-Schnelltest – es ist der zweite für das gesamte Team. Um auf Nummer sicher zu gehen, ist bereits am Vortag jeder und jedem das berühmte Wattestäbchen in die Nase gesteckt worden. Alle bleiben negativ! Kein positiver Befund muss gemeldet werden – trotzdem gilt im Inneren des großen Theaterhaus-Saals und Backstage die Abstands- und Maskenpflicht.

Das Publikum fehlt live – dennoch dreht der Gastgeber als Stimmungskanone auf, als würde der gesamte Saal toben. Bei den Yoga-Übungen mit Ex-Torwart Timo Hildebrand springt Gauthier gar zum Spagat. Sein Gast verdreht die Augen. Hildebrand sagt, Corona sei schlimm, doch man müsse auch was gegen die Armut der Welt tun. Deshalb engagiert er sich für die Initiative Stuttgart helps (Stelp). Mit seinem Kumpel, dem Künstler Tim Bengel, will er im April ein veganes Restaurant eröffnen. „Wir sind gerade dabei, einen Vertrag zu unterschreiben“, verrät er.

Bei der Nacht der Lieder hat er jahrelang trainiert für die Silvestershow

„Mit der Show geht mein alter Traum in Erfüllung“, sagt Gauthier, „ich hab’ schon als Teenie mit Mutti auf dem Sofa und unseren drei Hunden auf dem Boden Late Night Shows im Fernsehen geliebt.“ Seit 2001 ist der Kanadier bei der Nacht der Lieder für die Aktion Weihnachten der Stuttgarter Nachrichten als Tänzer, Sänger oder Conférencier dabei. „Da habe ich trainiert für die Silvestershow“, sagt er.

Joe Bauer, Erfinder und Regisseur der Liedernacht, ist Gast in der Silvestershow, berichtet, wie er von Erics Talenten als Moderator schon früh überzeugt war, und freut sich darüber, dass die Solidarität für Kulturschaffende ohne Arbeit in der Pandemie noch immer groß ist. Joes Künstlersoforthilfe sammelt weiter. Weil bisher über 600 000 Euro zusammenkommen, findet Gauthier, dass ihm der Verdienstorden des Landes gebührt – Joe lacht, darum gehe es ihm nicht.

Frank Nopper ist auf Haussuche in Stuttgart

Festlich gekleidet im Smoking mit Fliege und rotem Seidenschal ist der künftige Stuttgarter OB Frank Nopper und strahlt mindestens so stark wie Gauthier. Der Noch-Rathaus-Chef von Backnang kommt mit seiner Frau Gudrun Nopper zur Aufzeichnung von Hausbesichtigungen – die Familie sucht eine neue Bleibe in Stuttgart. Als Nopper die Bühne betritt, spielt die Band „Start Me Up“ von den Rolling Stones.

Der Gastgeber und der Gast duzen sich. Vor anderthalb Jahren haben sie sich bei einer Vip-Party auf dem Wasen kennengelernt. Damals wusste Gauthier nicht, wo Backnang liegt. Jetzt weiß er, dass der neue Rathauschef zwar spät zur Kultur kam – Sport war ihm in jungen Jahren wichtiger –, aber nun umso leidenschaftlicher diese besucht. Seine klaren Worte zur Kultur sind nun festgehalten. Man wird ihn in seiner Amtszeit daran messen.

Bis zum 10. Januar kann man die Show bei YouTube sehen

Weitere Gäste dieser turbulenten Show sind: das Comedy-Trio Eure Mütter, Popstar Philipp Poisel, Künstler Tim Bengel, Jason Reilly und Elisa Badenes vom Stuttgarter Ballett, Sängerin Maria Louise, Musicalstar Hannes Staffler, der den Art-Support-Song „Zusammen“ präsentiert. Wabela Szylinska und Mark Sampson von Gauthier Dance tanzen anders als sonst. Ihr Chef gibt Einblicke in den Probenalltag und kreiert eine kurze Choreografie. Noch viel mehr geschieht. Bis 10. Januar ist die Show auf dem Theaterhaus-Kanal bei YouTube kostenlos zu sehen und beweist: Stuttgarts Kultur ist stark wie eh und je, nutzt die Krise für neue Ideen, neue Formate, neue Beweise der Solidarität!

Im Leben von Eric Gauthier haben sich viele Träume erfüllt. Erfüllt sich nun sein Traum von einer regelmäßigen Late Night Show? Die Sendung ist die beste Bewerbung für eine eigene Show im SWR-Fernsehen.