Wenn es einen Mini-Wasen gibt, warum nicht auch einen Mini-Rave? Die Stuttgarter Sub- und Clubkultur erschließt sich mit dem Summer Campus am Eiermann-Areal neue Flächen und Möglichkeiten. Wir haben uns dort umgesehen.

Stuttgart - Der Bass kribbelt auf der Haut, Seifenblasen verirren sich in der Menge, das Bier schwappt beim Tanzen fast über: Eine Szenerie, die man so lange nicht mehr erlebt hat - und das in Stuttgart-Vaihingen. Wir sind beim mehrtägigen Summer Camp Festival, wo Feierwütige ganz unbschwert zu den Elektro-Beats der DJs tanzen.

 

Das Stuttgarter Clubkollektiv okkupiert dafür elf Tage lang den Eiermann-Campus in Vaihingen. Auf dem ehemaligen IBM-Gelände am Autobahnkreuz soll bald ein neues Wohn- und Arbeitsquartier entstehen. Bis dahin liegt das denkmalgeschützte Gebäude brach und bietet damit die perfekte Location für ein Open-Air Event.

Auch Festival-Gängerin Tini Mattern hat sich vergangen Freitag unter die Tanzenden gemischt: „Ich freue mich total darüber – das hat ein bisschen was von Normalität, so fühlt es sich zumindest an.“ Vergessen scheint auf der Tanzfläche die Angst davor, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Bei Tini ist auch ein bisschen Verdrängung dabei, gibt sie zu.

„Wir wollen jedem den Abend ermöglichen“

Das Hygienekonzept der Veranstalter soll das Risiko minimieren, sich mit Corona anzustecken. Wer auf das Gelände will, muss die bekannten 3 G vorweisen. Nur Geimpfte, Genesene und Getestete dürfen rein. Am Eingang heißt es deshalb: Nachweis vorzeigen. Wer es nicht mehr rechtzeitig zum Testen geschafft hat, für den ist hier jedoch nicht Ende angesagt. Die Veranstalter haben neben dem Eingang ein Testzentrum aus dem Boden gestampft, in welchem die Feiernden noch schnell einen aktuellen Antigen-Schnelltest machen können: „Wir wollen jedem den Abend ermöglichen“, sagt Colyn Heinze vom Clubkollektiv.

Bevor es auf das Gelände geht, müssen die Besucher noch das Smartphone zücken und den QR-Code der Luca-App scannen. Wenn sich nach dem Festival herausstelle, dass ein Besucher positiv gewesen sei, so könne man auf diesem Weg zumindest die Kontakte nachverfolgen, sagt Heinze. Erst nach dem Einscannen erhalten die Besucher einen Stempel, der den Einlass gewährt. Mit Bändchen geht es dann an den Bauzäunen entlang auf das Gelände.

Ein Lost Place mit industriellem Flair

An manchen Stellen sind noch Reste des Wildwuchses zu erkennen, mit dem die Veranstalter:innen hier auf dem Gelände zu kämpfen hatten. Denn seit dem Wegzug von IBM im Jahr 2009 steht das Areal leer. Bevor hier die Menschenmassen überhaupt zum Feiern antanzen konnten, musste die Crew deshalb Treppen unter dem Unkraut ausgraben, Geländer erneuern und für Strom und Wasser sorgen.

Hier fühlt man sich fast, als hätte man einen verwunschenen Ort, ein Lost Place entdeckt - und das liegt nicht nur am Funkturm, der im Hintergrund in den Himmel ragt und industrielles Flair verbreitet: Unter dem Parkdeck legen DJs auf während Lichter die tanzende Menge durchziehen. Am Getränkestand versorgen Gastro-Mitarbeitende die Festivalgänger mit Bier, Schnaps und Co. Wer eine Auszeit braucht, zieht sich auf das Sonnendeck zurück.

Open-Air Konzepte sind noch rar

Schon im vergangenen Winter hatte das Clubkollektiv beschlossen, neue Konzepte an der frischen Luft zu schaffen, sagt Heinze. Damit wolle man die von der Pandemie besonders gebeutelte Branche unterstützen. „Man hat zwar Hilfen bekommen, aber hat dem eigentlichen Job nicht mehr nachgehen können: Man macht den Job ja auch, um ein Kulturfaktor zu sein. Wir wollten allen Clubbetreibern diese Arbeit wieder ermöglichen und schauen, wie solche Konzepte in Stuttgart in Zukunft leichter umzusetzen sind. Ohne Corona hätten wir das nicht machen können.“ Auch die Stadt habe sich kooperativ und offen gezeigt, was Freiluft-Konzepte angeht.

Zukunft des Nachtlebens steht auf dem Spiel

Kurz bevor Sasa Mijailovic sein Set startet, stürmt er nochmal in das Container-Büro auf dem Festivalgelände. Der Kowalski-Betreiber legt an am Freitagabend auf dem Summer Campus mehrere Stunden lang auf. Seit drei Wochen kann in seinem Club wieder getanzt werden, das Festival soll jetzt das I-Tüpfelchen und die Krönung nach der Durststrecke sein. „Das draußen als Open-Air zu machen, ist in Stuttgart nicht gang und gäbe. Hier gibt es gute Musik, gute Gäste. Wir feiern, was jetzt kommt: Hoffentlich läutet es das Ende von Corona ein.“

Gleichzeitig ist sich der Clubbetreiber seiner Verantwortung bewusst: Er weiß, dass etwas passieren könne, mit dem Risiko müsse man aber leben – und dieses sei aufgrund der vielen Geimpften und Genesenen auch minimiert. Damit die Clubs ihre Gäste weiterhin beschallen können, unterstützen viele von ihnen die Impfkampagne – das Clubkollektiv veranstaltete eine Impfaktion in den Stuttgarter Clubs, unter anderem auch im Kowalski. „Wir wissen, dass die Zukunft des Nachtlebens davon abhängt. Wir möchten, dass das weiter existiert. Aber uns ist auch klar, dass Corona weiter existiert“, sagt Heinze vom Clubkollektiv.

Gefahr von Ansteckungen beim Feiern bannen

Weil die Fläche auf dem Eiermann-Campus weitläufig ist, kann die Maske vor Ort ab. Die Veranstalter bitten die Festival-Teilnehmenden jedoch darum, sie überall dort aufzusetzen, wo sie den Mindestabstand nicht einhalten können. Auch die Tanzfläche ist eigentlich groß genug, um genügend Abstand zu anderen halten zu können. Beim Tanzen trägt die Maske dort kaum jemand – auch wenn man sich mal doch näherkommt. Ob das Event bald dazu führt, dass die Corona-App vieler Besucher in den nächsten Tagen eine Warnung ausspricht? Tini Mattern jedenfalls hätte sich gewünscht, dass auch die Geimpften vor dem Abtanzen einen Corona-Test hätten machen müssen: Auch sie könnten ja ansteckend sein: „Hoffentlich sind aber nur Leute gekommen, sie sich gesund fühlen“, sagt sie und verschwindet kurze Zeit später auf dem Dancefloor in der Menge.

Mehr Infos zum Festival findet ihr hier >>>