In seinem aktuellen Stück „Besuch in der Heimat“ entführt das Theater Rietenau die Zuschauer in die Zeit des Wirtschaftswunders.

Aspach - „In meinem Dorf ist nur Platz für einen von uns“, blafft der reiche Landwirt Karl Eisenmann seinen Stiefbruder Hans an. Den hat Karl im Jahr 1938 durch eine Intrige aus dem Ort vergrault. Und nun steht er gut 15 Jahre später plötzlich wieder mitten im Flecken Rietenau – als gemachter Mann mit dickem Mercedes samt Chauffeur, feuerrotem Hut und grünen Cowboystiefeln. Hans Eisenmann hat in Chicago sein Glück gemacht. Doch er hat noch eine alte Rechnung offen.

 

Rache, Schuld, Verführung und Mitläufertum sind das Thema in „Besuch in der Heimat“, dem neuen Stück des Theaters Rietenau, das Ende Juli wie immer unter freiem Himmel und mitten im Dorf gespielt wird. Das Drehbuch stammt wie bei den sechs vorhergehenden Produktionen von Lea Butsch. Die Theaterpädagogin und Sozialarbeiterin betreibt mit ihrem Mann Rolf seit 27 Jahren die Wilde Bühne in Stuttgart. Dort spielen ehemalige Drogenabhängige Theaterstücke zur Sucht- und Gewaltprävention. Der Liebe wegen ist die Pfälzerin nach Rietenau, in die Heimat ihres Mannes, gezogen. Und dort haben die zwei aus Liebe zum Theater das Theater Rietenau gegründet.

Das Ende des Kurbades

Das Amateurtheater hat ein rund 25-köpfiges, ambitioniertes Ensemble – und den Ehrgeiz, Jahr für Jahr ein eigenes Stück auf die Bühne zu bringen, das einen Bezug zur Lokalhistorie, aber auch zum Weltgeschehen hat. Mal erinnert das Theater an die Besuche des Autors Thaddäus Troll, mal beamt es seinen Heimatort samt Publikum zurück in die Zwanziger Jahre.

Dieses Mal hat Lea Butsch ihre Geschichte in der Wirtschaftswunderzeit angesiedelt: Man schreibt das Jahr 1956. In Rietenau endet die Ära des seit dem 15. Jahrhundert verbürgten Kur- und Badebetriebs. Das Mineralwasser wird nun in Flaschen verkauft und durchs Land gekarrt. Elvis Presley tritt erstmals im Fernsehen auf, sowjetische Panzereinheiten schlagen den ungarischen Volksaufstand nieder, und der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard arbeitet an dem Buch „Wohlstand für alle“.

Ein bisschen Luxus, bitte!

Von ein bisschen Luxus nach der entbehrungsreichen Zeit träumen auch die Rietenauer: eine Schrankwand im Eiche-rustikal-Look, ein Kabinenroller, ein Pelzkrägele am Mantel oder täglich ein Stück Nusstorte auf dem Kaffeetisch – ha, des wär was! Mit Hans Eisenmanns Ankunft rückt all das plötzlich in greifbare Nähe, denn er bietet den Dorfbewohnern Geld, viel Geld an. „Er ködert das Dorf“, sagt Lea Butsch, „und als ihm alle auf den Leim gegangen sind, nennt er seine Bedingung für den Geldsegen: Der Bruder muss weg.“

Die Geschichte vom verlorenen Sohn, der zurückkehrt, habe sie schon lange verarbeiten wollen, sagt Lea Butsch. Sie hat Hans mit einer besonderen Herkunft versehen, die ihn gerade in der Nazizeit zum Außenseiter und potenziellen Opfer machte: „Er ist ein halber Jenischer.“ Er gehört also zu einer Gruppe, die einst als fahrendes Volk unterwegs war, eine eigene Sprache pflegte und ein bisschen anders war. In Rietenau hätten zwar keine Jenischen gelebt, sagt Rolf Butsch – aber im nicht weit entfernt gelegenen Spiegelberg. Eine Rolle spiele auch eine nicht verbriefte Rietenauer Anekdote, laut der die Wirtin des Kurbads während der Zeit des NS-Regimes von der SS abgeholt worden sei und nicht mehr nach Hause zurückkehrte.

Pünktchenkleider und Petticoats

Am Beispiel Karls, der auf Betreiben seines Stiefbruders nun zum Außenseiter wird, sagt Lea Butsch, wiederhole sich all das, was man vermeintlich abgelegt habe mit dem Ende der Nazizeit und dem Beginn der Demokratie. „Und am Ende will es keiner gewesen sein.“ Als moralische Instanz entpuppen sich die Jungen, die Kinder im Stück. Gleich vier junge Schauspieler im Alter von sechs bis 14 Jahren sind bei der aktuellen Produktion dabei. Lea Butsch hat ihnen wichtige Rollen auf den Leib geschrieben: „Ich wollte, dass sie mehr sind als eine hübsche Staffage.“

Apropos hübsch: Passend zur Zeit, in der das Stück angesiedelt ist, erwartet die Zuschauer ein Augenschmaus, was Requisiten und Kostüme angeht: Pünktchenkleider, Petticoats und sogar ein „Adenauer-Mercedes“ der Baureihe 300. Musik spielt ebenfalls eine wichtige Rolle, von Rock ’n’ Roll über die „Capri-Fischer“ bis zu Songs von Freddy Quinn reicht das Repertoire, zum Einsatz kommen Cello, Gitarre, Akkordeon und Kontrabass. Theater im Brunnengässle Aufführungen
Das Theater Rietenau spielt sein Stück „Besuch in der Heimat – Eine Wirtschaftswundergeschichte mit Musik“ am 28., 29., und 30. Juli im Brunnengässle rund um das Alte Rathaus von Aspach-Rietenau. Von 17.30 Uhr an gibt es eine Bewirtung, die Aufführung beginnt um 18.30 Uhr. Karten kosten zwölf Euro und sollten reserviert werden (0 71 91/ 91 58 11 oder info@theater-rietenau.de).

Nominierung
Beim Wettbewerb um den Staatspreis Lamathea 2017 für das beste Amateurtheater ist das Theater Rietenau in der Kategorie Mundarttheater für sein letztjähriges Stück „Geschichten im Verborgenen“ nominiert worden. Beim Lamathea-Preisträgerfestival ist es im Herbst in Karlsruhe zu sehen.