Der Bürgermeister spricht von „Kostenschock“: Statt 270 000 Euro soll die Sanierung der Stadtmauer nun knapp 450 000 Euro kosten. Zu viel, sagt der Gemeinderat und stoppt das Projekt. Doch das ist nicht das einzige Problem.

Oberriexingen - Dass knapp 40 Meter Mauerwerk Frank Wittendorfer derart lang beschäftigen würden, hätte der Bürgermeister von Oberriexingen (Kreis Ludwigsburg) nicht gedacht, als er vor knapp zwei Jahren sein Amt antrat. „Es ist eine komplexe Gemengelage“, sagt er heute. Und es geht nicht um irgendeine Mauer, es geht um die Stadtmauer Oberriexingens, der kleinsten Stadt des Landkreises, so klein, dass sie nach heutigen Kriterien gar nicht das Stadtrecht bekäme. Insofern ist die Frage nach der Stadtmauer eine Frage der Identität der Kommune.

 

Worum geht es? Seit 2002 will Oberriexingen seinen Ortskern umgestalten. Seitdem sind dort viele neue Gebäude entstanden – und Teile der alten Stadtmauer, an die manch altes und später abgerissenes Gebäude gebaut war, wurden nach und nach sichtbar. Was also tun damit? Teilweise sanieren, teilweise abreißen, entschied der Gemeinderat. Geht nicht, sagte das Landesamt für Denkmalpflege, denn das Mauerwerk stammt aus dem 15. Jahrhundert und steht unter Denkmalschutz. Also Komplettsanierung, entschieden die Räte darauf und ließen Angebote einholen.

Die Ausschreibungsergebnisse haben die Verwaltung kalt erwischt

Die sind nun da, und das Ergebnis hat Wittendorfer und den Gemeinderat kalt erwischt: Die Ausschreibungsergebnisse lagen mit rund 448 400 Euro brutto knapp 70 Prozent über der Kostenschätzung von 270 000 Euro. „Da war unsere Schmerzgrenze überschritten“, sagt Wittendorfer, der Oberriexingens Kämmerer war, ehe er Bürgermeister wurde. Er spricht von einem „Kostenschock“. Der Gemeinderat bevollmächtige die Verwaltung, die Ausschreibung während der Sommerpause aufzuheben – so viel Geld hat die Stadt gerade nicht locker.

Damit liegt das Projekt erst einmal auf Eis. Man wolle nun mit den günstigsten Bietern noch einmal nachverhandeln, sagt Wittendorfer. Doch das ist nicht seine einzige Baustelle bei diesem Projekt: Im Januar 2018 brach beim Abriss einer Scheune und eines Wohnhauses ein Gewölbekeller ein – und ein Teil der Mauer gleich mit. Das Technische Hilfswerk stützte das einsturzgefährdete Mauerwerk mit Holzbalken.

Wer zahlt für das Fiasko?

Seitdem zeugen die Planken davon, dass zwischen der Baufirma und der Stadt noch etwas zu klären ist: Wer zahlt für das Fiasko? Das Rathaus prüft Schadenersatzansprüche. Vor dem Einsturz hatte eine Kostenschätzung für die Sanierung der Mauer noch bei etwa 100 000 Euro gelegen. Wittendorfer hält sich hier bedeckt: Man sei mit der Baufirma „im Gespräch“, alles weitere sei „ein laufendes Verfahren“. Wer sich so vorsichtig äußert, weiß, dass es auch vor Gericht gehen könnte.

Trotz allem gibt Wittendorfer sich optimistisch. Hoffnung gibt ihm vor allem eine kleine Lücke in der Mauer, etwa vier Meter lang. Wie lange sie schon da ist, weiß niemand so recht. Die Angebote der Firmen für die Sanierung hätten bislang auch die Lücke inbegriffen. Und da man hier von Grund auf neue Steine heranschaffen und in Handarbeit nach altem Brauch verputzen müsste, sei vor allem dieser fehlende Teil der Mauer besonders teuer. Das Landesdenkmalamt habe aber nichts dagegen, wenn die Stadt bei der Sanierung der Mauer diesen Teil einfach weglasse. Denn: „Was nicht da ist, kann nicht zum Denkmal gehören“, sagt Frank Wittendorfer.

Was ist den Oberriexingern ein Teil ihrer Identität wert?

Am Ende soll der Gemeinderat entscheiden, ob die Lücke geschlossen wird oder nicht. In einer außerplanmäßigen Sitzung kommende Woche soll nun erst einmal der Ausschreibungsstopp öffentlich kundgetan werden. Nach der Sommerpause wolle man dann die nachverhandelten Angebote prüfen. Dann wird es darum gehen, wie viel den Oberriexingern ein Teil ihrer Identität wert ist. Einige Bürger finden, dass die Sanierung einer Mauer, die man jahrhundertelang kaum gesehen hat, nicht allzu viel kosten sollte. Wittendorfer lehnt sich auch hier nicht allzu weit aus dem Fenster, wenn er sagt: „Man sollte die Mauer schon erhalten, aber nicht um jeden Preis.“