Ist Boris Becker ein Opfer der Zeit? Wehmütig sehnt man sich als alter Fan zurück nach Ion Tiriac, schreibt Oskar Beck in seiner Kolumne.

Stuttgart - Dass wir Deutschen bei Hungersnöten und humanitären Katastrophen zur Stelle sind, zeigt sich eindrucksvoll wieder dieser Tage – wenn halbwegs wahr ist, was man hört, sind auf den Marktplätzen viele Menschen mit einem Hut und dem Pappschild „Spenden für Boris“ unterwegs.

 

Fehlt es Boris Becker an Geld?

Was ihm auf jeden Fall fehlt, ist Ion Tiriac. Dieser bärtige und mit allen Wässerchen eingeriebene Rumäne hat als sein Manager früher dafür garantiert, dass es Boris nie an Geld fehlte, er passte auf, dass der Lebensstil seines Schützlings perfekt zu den Einnahmen passte – und wies ihm überhaupt den Weg.

Der Schreiber hier erinnert sich an eine aufregende Podiumsdiskussion, damals, gleich nach der Geburt des Wunderkinds in den 1980ern. Treffpunkt acht Uhr war mit Boris ausgemacht. Um acht saßen im Saal 500 Gäste und Ion Tiriac und ich einsam auf dem Podium. Tiriac griff zum Telefon. „Ich hab’s vergessen“, teilte ihm sein Wimbledonheld aus dem fernen Leimen mit. Tiriac fand aber die richtige Antwort, denn zwei Stunden später, nach einer zügigen Autofahrt, bestieg Becker in Stuttgart hechelnd das Podium.

Was war das für ein Leben?

Tiriac wusste immer die richtigen Antworten, jedenfalls waren sie alle besser als diese unerträglichen Fragen, die uns neuerdings den Schlaf rauben: Ist Boris pleite? Nagt er am Hungertuch? Fällt er bald unter das Armenrecht? Die Aasgeier nennen ihn schon in einem Atemzug mit Mike Tyson, der sich cirka 200 Millionen Dollar erboxt und wieder vernichtet hat – oder gar mit dem unvergessenen Dribbler George Best, der am Ende verriet: „Die Hälfte ging für Frauen, Alkohol und schnelle Autos drauf, und den Rest habe ich einfach verprasst.“

Christine Derrett ist schuld. Von ihrem Londoner Richterstuhl herab hat sie Becker für zahlungsunfähig erklärt, mit der verbalen Rückhandpeitsche: „Man hat den Eindruck von einem Mann, der mit dem Kopf im Sand steckt“. Das klingt eher nach Kind, das im Sandkasten spielt. Auf jeden Fall ist Becker aber ein Kind dieser Zeit.

Ach, wie sorglos war früher das twitterlose Leben der Helden, keiner holte sich unter dem Brennglas der öffentlichen Dauerbeobachtung Brandblasen. Die Helden endeten ungerupft auf Sonderbriefmarken oder als Denkmal wie Max Schmeling, Fritz Walter, Uwe Seeler oder Hans Günter Winkler. Dessen Wunderstute Halla landete zwar am Ende in der Tierkörperverwertungsanstalt „A. Fischer und Söhne“, unter dem balkenhohen Protest von „Bild“ („Gemein: Halla zu Seife verarbeitet!“) – aber der Reiter Winkler zumindest blieb immer ein Volksheld und wusste warum: „Eine Operation an der Bandscheibe hat mich gezwungen, mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben.“

Und die Zeit hat es ihm erlaubt. Wäre der 49-jährige Becker noch mal gerne der 17-jährige Boris? Was war das für ein Leben: Spielen, mehr musste er nicht tun, den Rest erledigte Tiriac. Wäre der auch später hilfreich gewesen? Boris stürzte sich mit seinem unwiderstehlichen Becker-Hecht plötzlich in viele Herausforderungen, darunter diese Russin, mit der er im Vorbeigehen einen kleinen Rotschopf zeugte. Tiriac wäre Boris vermutlich in den Schritt gefallen, spätestens aber bei dessen Detailschilderung, hören wir nochmal kurz rein: „Sie verließ ihren Tisch in Richtung Toilette. Ich hinterher. Fünf Minuten Small-Talk, und schon ging’s in der nächstmöglichen Ecke zur Sache.“

Auch über Donald Trump hieß es in den 1980ern, er sei pleite.

Es war ungefähr die Zeit, als die neue, moderne Medienwelt zu rotieren begann. Sie ist voller Verlockungen, aber wehe, es tappt einer in die Falle, dann macht diese Welt ihn fertig. Becker hat bezahlt, und gemeint sind jetzt gar nicht die Alimente von London oder die Abfindung nach der Scheidung daheim, sondern auch der Spott bei der nächsten Hochzeit: Aus St. Moritz berichtete RTL in Form eines tagelangen Mehrteilers, als würde der Schah von Persien noch mal Farah Diba heiraten.

Becker hat sich oft nur halbherzig gewehrt gegen den Promiparagrafen 1: Pompös Flagge zeigen und als Galastar auch mal Gockel sein. In der ARD-Show bei Kai Pflaume ging es einmal um den „Mile High Club“, also um Sex im Flugzeug, und Boris outete sich stolz: „Ich bin Clubmitglied.“ Auf einem Flug nach Miami ist es passiert, in einem Privatjet – der womöglich auch wieder nicht billig war.

Es ist brutal schwer, als Promi nein zu sagen in dieser Promiwelt. Aber es geht. Boris hätte Steffi Graf konsultieren können, oder Rosi Mittermaier – wenn der alten Skiheldin der Trubel daheim auf der Winklmoosalm zu groß wurde, „bin ich halt hinten durchs Fenster raus und ab durch den Wald.“ Wie man das schafft? „Mit Goaßn-Milch“ sei die Rosi aufgezogen worden, haben ihre Schwestern verraten, mit Milch von der Geiß – man wird dann nicht so leicht zur Zicke.

Gold-Rosi ist auch noch aus dieser naturbelassenen Zeit, als sich ein Star nicht alle paar Jahre scheiden lassen musste, um als Businesstauglich zu gelten. Mit dem Privatfernsehen ging dann die neue Ära los, aber der junge Becker kam damals noch gut damit klar, er hatte ja Tiriac – eine solche Leitplanke kann für Sportstars wertvoller sein als die tausend Schulterklopfer, die ihnen täglich den Puderzucker in alle Ritzen blasen.

Hat Boris Becker nicht oft genug „nein“ gesagt? Voreilige Lästergoschen sehen ihn schon im „Dschungelcamp“. Aber eines mag ihn trösten: Auch über Donald Trump hieß es in den 1980ern, er sei pleite.