Älterwerden ist nichts für Feiglinge: Michael Ballack, der Star des VfB-Gegners Leverkusen, wird nur noch umgetreten.  

Stuttgart - Der größte Kuli aller Zeiten war kein Kugelschreiber, sondern Hans-Joachim Kulenkampff. Jahrzehntelang war er unser Quizgott der Fernsehunterhaltung und hat zum Samstagabend gehört wie der ARD-Pfarrer mit dem "Wort zum Sonntag" - und als er im höheren Alter irgendwann Amen sagte, war halb Deutschland wie gelähmt. Eine TV-Illustrierte hat damals den Jungreporter B. mit keinem geringeren Auftrag zu Kuli entsandt als dem, die alte Kanone mit allen Mitteln der Überredungskunst zum Comeback zu zwingen. Wir saßen also eines Abends bei einem Schoppen Wein im Hamburger Brahmskeller - und B. gab dem Maestro Honig, bewunderte sein gutes Aussehen und kam schließlich unverblümt zur Sache: "Wann fangen Sie wieder an?"

 

Kuli lachte sich tot. "Ich bin zu alt", sagte er und rasselte die wasserdichten Beweise nur so herunter. Er lief die 100 Meter nicht mehr in 11,1 Sekunden. Er stieß die Kugel nicht mehr über 18 Meter. Das Knie tat weh. "Und raten Sie mal", sagte er, "wie daheim die Tennistruppe heißt, der ich angehöre: Sargriege." Das klang alles verdammt plausibel. Und vor allem sehr endgültig. Doch was passiert kurz danach? Das knallharte Gegenteil. Kuli war wieder da. Die Show ging weiter. Er konnte nicht anders.

Warum wir die alte Geschichte erzählen?

Weil dieser Tage die Kritiker von Michael Ballack hemmungslos die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sich fassungslos fragen, wann dieser sture Bock endlich kapiert, dass er sein Verfallsdatum überschritten hat und es Zeit ist, die Memoiren zu schreiben, das Hündchen spazieren zu führen oder am Chiemsee Frisbee zu spielen.

Unwürdige Auswüchse hat diese menschliche Tragödie angenommen, denn jedes Schmidtchen liest dem Schmidt die Leviten und wirft ihm die hässlichsten Dinge vor - vor allem seine Unfähigkeit, die Gesetze des Geschäfts so zu akzeptieren, wie sie sind: brutal und unmenschlich. Motto: Warum akzeptiert dieser alte Sack nicht, dass Fußball keine Denkmalpflege und die Uhr mit 35 abgelaufen ist?

Der Bankdrücker Ballack

Der große Ballack endet bitter, als Michael Ballast. Hinz und Kunz haben sich gegen den Mann verschworen, der in der ärmlichsten Zeit des deutschen Fußballs als unser letzter nennenswerter Kicker von Welt das schwarz-rot-goldene Fähnlein hochhielt - und vermutlich hat sich Blacky Fuchsberger von Ballack inspirieren lassen, als er unlängst auf den Buchdeckel seiner Memoiren schrieb: "Älterwerden ist nichts für Feiglinge."

Vergangenen Samstag, bei Leverkusens Spiel in Bremen, war die Ersatzbank für Ballack noch das Angenehmste, er konnte sich zeitweise darunter verstecken. Aber irgendwann schickte ihn sein Trainer Robin Dutt zum Warmlaufen in Form des öffentlichen Spießrutenlaufens. Wenn man eine Sau durchs Dorf treibt, ist das weniger schlimm, denn der tut es nicht weh - eine Sau ist kein Mensch. Eine verdammt dicke Haut braucht Ballack auf der Zielgeraden seiner Karriere. Feuer frei hat der Bayer-Geschäftsführer Wolfgang Holzhäuser vergangene Woche gesagt und mit seinem Star abgerechnet: Fehleinkauf. Das war eine deftige Attacke, allerdings hätte sich Holzhäuser genauso gut vor den Spiegel stellen und selbst beschimpfen können - denn wer einen sündhaft teuren Altstar holt, muss ihn starkmachen und spielen lassen, sonst kracht's. Jetzt kracht's, und schuld ist Ballack.

Den ein oder anderen Tritt zu viel

Nein, Mitleid muss keiner mit ihm haben, das Schmerzensgeld stimmt, aber auf seine alten Tage kassiert er jetzt einfach den einen oder anderen Tritt zu viel. Der erste Tritt war der des Rowdys Boateng. Ballack lag kaum im Gipskorsett, da fand sein Stellvertreter Lahm derart Gefallen an der nationalen Kapitänsbinde, dass der nächste Tritt umgehend folgte. Der dritte Tritt war dann der von Jogi Löw unter dem Jugendmotto: Der Capitano ist lahm, es lebe der Lahm. So gab ein Tritt den anderen, und mit dem letzten Tritt wird er jetzt ans Bayer-Kreuz genagelt.

Gewiss, der Michael hätte den Ballack neulich gegen Mainz dazu überreden müssen, trotz seiner jähen Auswechslung dem Trainer einen warmen Händedruck nicht zu verweigern - aber ist so ein Abgang in Form der beleidigten Leberwurst als menschliche Regung nicht womöglich entschuldbar bei einem, der seit bald zwei Jahren nur noch umgetreten, weggetreten und zurückgetreten wird?

Kritiker waren selber nie Weltstar

Verstehen wir uns richtig: Es gibt nachvollziehbare Gründe dafür, dass der Lahm und der Löw oder der Dutt und der Holzhäuser den alternden Ballack nicht mehr wollen. Aber muss es auch Ballack verstehen?

Seine Kritiker verlangen zu viel. Sie denken in der Kategorie von Flachlandtirolern, sie waren selber nie Weltstar, wissen nicht, wie es da droben auf Wolke sieben ist - und sie kennen nicht die Angst vor dem Absturz ins Loch und in die Leere nach dem letzten Spiel. Dass einer eher zu spät als zu früh aufhört, ist menschlich. "Springt man so mit verdienten Spielern um?", hat Ballack sich beklagt, als es in der Nationalelf lange vor ihm seinem Kumpel Torsten Frings an den Kragen ging. Aus Platzgründen können wir nicht alle erwähnen, die als letzten Tritt ebenfalls den in den Allerwertesten einsteckten, aber selbst die Größten waren dabei. Sogar Gerd Müller nahm in den späten 70ern Reißaus vor dem Bayern-Trainer Pal Csernai und verendete bei den Fort Lauderdale Strikers im Exil in Florida.

Selbst der Kaiser wurde nicht verschont

Oder der letzte deutsche Kaiser. Den erwischte es anno 1977. In seinen Memoiren "Ich - wie es wirklich war" hat Franz Beckenbauer später enthüllt, wie ihm der Trainer Udo Lattek und das Duett Paul Breitner/Uli Hoeneß in seiner Bayern-Endphase das Leben nicht direkt versüßt haben. Zu Cosmos New York hat sich Beckenbauer samt seinen Bisswunden in Sicherheit gebracht.

Flüchtet auch Ballack ins Land der unbegrenzten Alterschancen? Flüchten muss er jedenfalls, denn das Volksgericht des Fußballs kennt keine mildernden Umstände aufgrund verstaubter Verdienste, und das kriegt er dieser Tage mit dem Holzhammer und dem Holzhäuser beigebracht, auch wenn Letzterer gelegentlich meint: "Ballack wird noch gute Spiele für uns bestreiten." Und wenn nicht, macht er sich zumindest als Sündenbock gut. Ballack wird also noch als Blitzableiter benötigt. Wenigstens das.