Die Rivalität zwischen den Fußballclubs des VfB Stuttgart und des Karlsruher SC duldet keine Seitensprünge. Das ist nachzufragen bei Winnie Schäfer, der beide Vereine hintereinander trainierte.

Stuttgart - Was ein Derby ist, hat keiner blutiger definiert als Wolfgang Wolf. Der war damals Kapitän der Stuttgarter Kickers und zischte vor einem Spiel gegen den VfB durch die Zähne: „Das Messer steckt im Schienbeinschützer.“ Bei einem Derby geht es nicht um Leben oder Tod und Sein oder Nichtsein.

 

Es geht um mehr.

Derby kommt von derb

Derby kommt von derb, und diesen Sonntag rollt die Polizei vermutlich mit Panzern in den Karlsruher Wildpark, denn der VfB kommt zum baden-württembergischen Religionskrieg. Die tiefergelegten Vermummten aus den verfeindeten Lagern verstecken sich dann unter ihren Kapuzen, geben ihren Verstand an der Garderobe ab und dreschen sich mit Dachlatten gegenseitig die leeren Birnen voll.

Es hat Zeiten gegeben, da war die Feindseligkeit von höherem Niveau geprägt, vor allem in den frühen 90ern. Christoph Daum hatte den VfB gerade zum deutschen Meister trainiert, und Winfried Schäfer saß ihm mit dem KSC im Nacken. Die Zeitschrift „Sports“ schickte mich für eine lückenlose Aufklärung des badischen Booms für ein paar Tage an den Ort des Wunders – und zur Begrüßung diktierte mir der wilde Winnie gleich druckreif den Fluch in den Block: „Der Daum tönt aus Stuttgart, wir seien wie der Hund, der halt zwischendurch mal mit dem Schwanz wedelt. Warum hat er uns dann nicht als Blindenhund mit nach Leeds genommen?“

Für die Zuspätgeborenen: An jenem denkwürdigen Abend bei Leeds United hatte der Meistertrainer Daum den VfB durch eine irreguläre Einwechslung aus der Champions League ausgewechselt.

Winnie, der Schlingel, lachte. Aber es waren schöne Tage. Er nahm mich mit in seine Mannschaftsbesprechungen, Taktiksitzungen und zum Spiel, im Hotel plauderten wir abends über Gott, die Welt und die Zukunft, und plötzlich sagte Schäfer: „Soll ich Ihnen was verraten? Den VfB würde ich gerne einmal trainieren.“

Ach, hätte er doch geschwiegen.

Zunächst ging noch alles gut. Eigentlich war sogar fast schon Gras gewachsen über das Bekenntnis des Karlsruher Trainers zu seiner heimlichen, verbotenen Liebe zum VfB, denn jahrelang habe ich wie ein Grab geschwiegen. Doch dann kam jener verhängnisvolle Tag im Frühjahr 1998, als mir VfB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder nach einem missratenen Spiel die Frage zuraunte: „Wenn Sie jetzt einen Trainer bräuchten, wen würden Sie nehmen?“

„Warum?“, staunte ich ihn an. „Sie haben doch einen.“

Joachim Löw hatte den VfB sogar zum DFB-Pokal-Sieg trainiert, und die Mannschaft war gut aufgestellt, Berthold, Balakov, Bobic. Doch Mayer-Vorfelder sprach von mangelnder Entschlusskraft und Autoritätsproblemen. „Es geht nicht mehr lange“, sagte er traurig, und um seinen Schmerz zu lindern, habe ich ihm von der alten Hotelplauderei mit Schäfer erzählt. Ein paar Tage später klingelt das Telefon, und MV ist dran und sagt: „Würden Sie Winnie mal fragen?“ Nun ist es die allerletzte Aufgabe eines Journalisten, als verdeckter Vermittler an der Tür eines Trainers zu läuten, und ich habe es vorher nicht getan und hinterher nie wieder. Aber ich mochte diesen Schäfer, mir gefiel die Leidenschaft dieses Feuerkopfs, er war wie der alte Flammenwerfer Sundermann, und ich dachte: Wenn man diesem Streichholz den VfB als Reibfläche hinhält, brennt an Weihnachten der Baum. Tags darauf fuhr ich nach Ettlingen. „Der VfB?“ Winnie glühte. Er war Feuer und Flamme.

Die Zeitung schrieb vom „Winnie Wendehals“

Und der Baum brannte wirklich, und zwar auf der Stelle und viel zu früh. Das ganze Ländle stand in Flammen, Fackelzüge drohten, und Sitzstreiks und Boykottaufrufe („Wenn Winni kommt, gehen wir“). Die Jungs von „Bild“ meldeten „Explosionsgefahr“, die Stuttgarter Nachrichten feuerten auf „Winnie Wendehals“. Und dann war da ja auch noch Jogi Löw. Am Ende hätte er in Stockholm mit dem VfB fast noch den Europacup der Pokalsieger gewonnen. Jogi war bei den Schwaben beliebt. Und Winnie unten durch, vom ersten Tag an.

Wie ein von der anderen Feldpostnummer übergelaufener Hochverräter wurde er auf dem VfB-Minenfeld empfangen. Jede Blähung, die er ließ, wurde live übertragen, und täglich bekam er die Blutgrätsche von hinten. Er hatte beim VfB keine Zukunft, nicht bei dieser Herkunft. Zwölf Jahre KSC. Zwölf Jahre hatte er das Gefühl der Karlsruher mitgelebt, nur der Fußabstreifer vor der Stuttgarter Haustür zu sein. Zwölf Jahre lang hatte er deshalb treu seine Raketen gezündet und den Südfunk als „VfB- und Spätzles-Sender“ verunglimpft oder beklagt, daß der Daimler den KSC-Kickern höhere Leasingraten abknöpfte als den VfB-Stars. Und als ihn unser StZ-Kolumnist und Beststeller-Autor Hans Blickensdörfer („Die Baskenmütze“) einmal auf die Schippe nahm, witterte Winnie sofort Symptome der Sehschwäche: „Ist ihm die Baskenmütze ins Gesicht gerutscht?“

Dabei sah der Dichter alles richtig und scharf: „Man fragt sich“, notierte „bli“ angesichts des an der Seitenlinie hüpfenden KSC-Tausendsassas, „wann dieser wilde Hund auch noch die Karlsruher Eckbälle vors VfB-Tor schießt.“

Schäfer und die Spätzlesfresser

Winnie, der Wilde. Er hörte gern Beethoven, aber halt auch die Rolling Stones, und in erregtem Zustand war er wie Mick Jagger nicht sehr katholisch. War er Täter, war er Opfer? Reinhold Laun war lange Hausmeister im Stuttgarter Stadion und sah es so: „Der Winnie ist von der Tribüne herunter beleidigt worden – da hat er halt ,Spätzlesfresser‘ zurückgeschrien.“

Jetzt, als VfB-Trainer, war Schäfer plötzlich selbst einer. Mayer-Vorfelder, selbst ein in den Nachkriegswirren zu uns Sauschwoba übergelaufener Gelbfüßler, hat sich den Mund fusselig geschwätzt, um seinen neuen Trainer als stubenreinen Maultaschen-Schwaben erscheinen zu lassen, und tapfer fuhr Winnie auf der A 8 jeden Morgen seine 80 Kilometer nach Stuttgart – aber er kam nie an. Am Ende hat er sogar als Heimatloser auswandern müssen. Die Badener haben ihn gefühlsmäßig ausgebürgert, die Württemberger in die Wüste geschickt, und irgendwo in Afrika musste er dann eine unserer ehemaligen Kolonien trainieren – noch vor Kurzem hielt er sogar ein paar staunenden Jungs in Jamaika ein rundes Ding vor den Kopf und sagte: „Das ist der Ball.“

So grässlich bestraft wird in diesem unserem Musterländle ein Seitensprung mit Schäferstündchen. Da war nichts mehr sexy, alles ist einfach saublöd gelaufen: Wenn Schäfer mir sein VfB-Herz nie gebeichtet hätte, hätte ich es MV nie weitererzählt, der hätte womöglich Jogi behalten – und Löw hätte dann nicht zwei Jahre später den KSC in die dritte Liga hinuntertrainiert.

Müssen wir mehr sagen über die Abgründe der Rivalität und den Wahnsinn dieses Derbys?