Die große Osterfrage lautet dieses Jahr: Brauchen Fußballer wirklich so dringend, was sie Olli Kahn immer öfter nachbabbeln? Selbst unser StZ-Kolumnist Oskar Beck ist sich da nicht so ganz sicher.

Stuttgart - Die Spaßgesellschaft gerät aus dem Ruder, die fragwürdigen Scherze häufen sich. Die Unsitte geht vereinzelt schon so weit, dass im weltweiten Netz die Top Ten der sportlichsten Ostersprüche veröffentlicht werden, und ziemlich weit vorne liegt der Fußballtrainer Ivica Osim, der bei Sturm Graz über seinen Präsidenten Hannes Kartnig einst sagte: „Er hatte Mut – und Eier wie Wassermelonen.“

 

Diese Eier werden immer größer, je näher es auf Ostern zugeht.

Lieber Leser, falls Sie aus dieser Kolumne aussteigen wollen, müssen Sie es jetzt tun, sonst ist es zu spät. Weitere Deftigkeiten sind nämlich unvermeidlich und dürfen nicht verschwiegen werden, denn dramatisch häufen sich die Fälle des Missbrauchs zu Lasten des berühmtesten Symbols dieses nahenden Festes – dem Ei.

Vorbei sind die unbeschwerten Zeiten, als wir unter einem Ei noch ohne Hintergedanken das verstanden, was man im Supermarkt aus dem Regal holte, bunt anmalte und an Ostern für die Kinder im Garten zum Suchen unter den Bäumen versteckte – stattdessen rollen uns plötzlich Eier aller Art über den Weg, und vor allem die Sprücheklopfer des Fußballs erwecken den Eindruck, als ob die Welt nur noch aus Hart- oder Weicheiern besteht.

Ei, Ei, Ei verboten

Christoph Kramer etwa schwärmte neulich nach dem 2:0 der Gladbacher gegen den FC Bayern: „Es sind uns richtig Eier gewachsen.“ Sein Münchner Weltmeisterkollege Thomas Müller wiederum bewundert die Dortmunder in ihrem tapferen Krisenkrampf („Da braucht man schon Eier“) – und sogar Eisschnellläufer lehnen sich schon schlüpfrig aus dem Fenster, wie der Holländer Sven Kramer, der nach einem großen Sieg über die 5000 Meter prahlte: „Ich habe mir zwölf Runden lang die Eier aus meiner Hose gelaufen.“

Der Trend galoppiert, fast täglich prasseln besagte zwei Kleinigkeiten ausgekocht und hart gesotten auf einen nieder. Wie und wann darüber in Sportkreisen erstmals offen geredet wurde? Böse Zungen behaupten, den früheren Formel-1-Piloten Hans-Joachim („Striezel“) Stuck treffe in diesem Zusammenhang eine nicht unwesentliche Schuld. Demnach saß das bayerische Original einmal im Flugzeug, und die Stewardess fragte: „Hätten Sie die Eier lieber gekocht oder gebraten?“ Striezel dachte kurz nach und antwortete: „Am liebsten gekrault.“

Seit Scholl ist das Wort Ei in aller Munde

Das ist einer dieser gewagten Anekdoten, die man als Journalist nur ungern erzählt, denn man spaltet damit die Gefühle der Nation: Die Kaltschnäuzigen halten sich wiehernd den Bauch und die Sensiblen umso krampfhafter die Augen und Ohren zu – so war es auch bei dem unvergesslichen Dialog zwischen dem nach einer Niederlage sichtlich angefressenen Olli Kahn und dem TV-Reporter, der den Bayern-Torwart fragte: „Was hat gefehlt?“

„Eier!“, fauchte Kahn. „Wir brauchen Eier!“

Braucht man sie wirklich? Ist das Manko an Schneid und Mumm tatsächlich auf die zwei besten Stücke des Mannes zurückzuführen? Die Antwort ist ein knallhartes Jein – denn sind nicht die deutschen Fußballfrauen zweimal Weltmeister und achtmal Europameister geworden, und das durch die Bank unten ohne? Keine Frau wird also auf Anhieb verstehen, was die Fußballer da immer faseln, oder was der Bremer Vizeweltmeister Torsten Frings einst meinte, als er seinen Biss im Spiel mit dem Satz untermauerte: „Ich schaukle nicht meine Eier über den Platz.“ Den Frauen muss das plausibel erklärt werden. Die ARD hat deshalb extra den Experten Mehmet Scholl eingestellt, und der erklärte, als HSV-Torwart Jaroslav Drobny im Pokal gegen den FC Bayern einen harmlosen Weitschuss passieren ließ, das Malheur vor dem Hintergrund eigener schmerzhafter Erfahrungen detailliert so: „Drobny hat kurz vorher den Ball richtig in die Eier gekriegt. Das dauert mindestens drei bis vier Minuten, bis man da wieder einen klaren Gedanken hat.“ Bis dahin hat man nur einen Gedanken, und der ist brutal: Omelett!

Seit Scholl ist das Wort Ei in aller Munde. Und natürlich seit Mario Balotelli, der als Torheld gegen Deutschland im EM-Halbfinale 2012 seine zwei Fäuste derart vor der Lende ballte, dass sie aussahen wie Nest-Eier aus Keramik, wenn nicht gar wie Straußeneier mit Doppeldotter – mit dem Foto hätte der Italiener jedenfalls in der Eierwerbung hinterher Millionen verdienen können, und angeblich war er der Erste, der sie sich die Dinger an Ostern färbte. Bis dahin war das Wort Ei so offen nur selten gefallen, selbst der weit gereiste Trainerguru Jupp Heynckes wich zuweilen geniert in die Umschreibung aus: „Die Spanier sagen dazu Cojones.“ Aber plötzlich war Schluss mit dem Eiertanz, und die Spanier setzten in Form der Facebook-Seite „Los Cojones de Carles Puyol“ ihrem alten Capitano und Campeon sogar ein Denkmal.

Wehe, sie sind nicht aus Stahl

Ungefähr zu der Zeit brachen verbal alle Dämme. „Da musst du Cojones haben“, sagte Jürgen Klopp vergangenes Jahr vor dem schweren Gang seiner Dortmunder zu Real, und nachdem sich Sami Khedira beim Warmlaufen vor dem WM-Finale in Rio verletzte, lobte ihn Mitspieler Miroslav Klose: „Toll, dass Sami die Eier hatte, es uns zu sagen.“ In Madrid musste sich sogar kein Geringerer als Cristiano Ronaldo nach dem 0:4 gegen Atlético von Fans vor ein paar Wochen anpflaumen lassen: „Zeig Eier!“

Eier, Eier, Eier – und wehe, sie sind nicht aus Stahl.

Es gibt kein Entrinnen, selbst wenn man an Ostern auf einen amerikanischen Golfplatz flüchtet. Auf Daniel’s Driving Range in Fort Myers habe ich mir vorgestern für acht Dollar einen Korb voller Bälle gekauft, um sie zum Zweck des Aggressionsabbaus durch die Prärie zu prügeln. Auf dem Weg zum Abschlagplatz fielen mir zwei aus dem Korb und hoppelten davon, worauf mir ein grobschlächtiger Ami unter hässlichem Gelächter den ekelhaften Satz nachbrüllte: „Don’t lose your balls!“

Ich weigere mich, den abscheulichen Scherz zu übersetzen – es gibt Dinge, die sich einfach nicht gehören. Nicht einmal an Ostern.