Mit seinem Griff an die Brust hat der Fußball-Weltmeister Mario Götze diese Woche eines gezeigt, wie der StZ-Kolumnist Oskar Beck meint: Er würde sich überfahren lassen für die Bayern. Oder auch nicht.

Stuttgart - Die Welt wird immer verlogener – im Erste-Klasse-Abteil des ICE von Innsbruck nach Hamburg soll neulich ein empörter Fahrgast das gut bestückte Fräulein vis-à-vis angefahren haben: „Sagen Sie Ihrem Busen, dass er endlich aufhören soll, auf meine Augen zu starren.“ Aber jetzt kommt es: Fahren die schlimmsten Heuchler gar nicht Zug – spielen sie Fußball?

 

Die Misstrauischen unter uns bringen nämlich neuerdings keinen Geringeren als unseren WM-Finalschusshelden von Rio mit dem Tatbestand der Scheinheiligkeit in Verbindung. Als Mario Götze Mitte der Woche das 2:0 der Bayern gegen den AC Mailand gelang, legte er sich spontan und ergriffen die rechte Hand dort auf die Brust, wo ungefähr das Herz klopft, und weil die große Geste live, in Farbe und in Großaufnahme im Fernsehen übertragen wurde, sind fünf von zehn Fans seither tief gerührt und felsenfest überzeugt: Götze würde sein letztes Erspartes geben für den FC Bayern.

Götze tätschelt den Herzmuskel

Was die übrigen fünf meinen? Zwei überlegen angeblich noch, der dritte will seine Meinung lieber für sich behalten – aber unter dem Strich, und damit kommen wir zum wunden Punkt dieser herzzerreißenden Handbewegung, gibt es mindestens zwei Zweifler, die einfach nicht glauben wollen, dass Götzes demonstratives Tätscheln des Herzmuskelbereichs gleichbedeutend ist mit der Wiedergeburt dreier Wertbegriffe, die seit den Nachkriegswirren als verschollen galten: Vereinstreue, Identifikation und Herzblut.

Die Skeptiker stöhnen wie geprügelte Hunde. Sie sind in solchen Momenten gequält von dem schier unerträglichen Hintergedanken, dass der moderne Fußballstar mithilfe seines wertvollsten Medienkomplizen, der TV-Großaufnahme, vorsätzlich eine herzensgut inszenierte Botschaft unters Volk streuen will – und viele liebäugeln insgeheim mit der Weltanschauung des neuen Schalker Trainers Andre Breitenreiter, der mit Schaum vor dem Mund unlängst gemeckert hat: „Für mich gibt es nichts Schlimmeres als Fußballer, die bei einem Torerfolg das Wappen küssen und eine Woche später weg sind.“