Bolt. Tyson. Rockys Ex. Bum-Bum-Boris. Alle greifen zum Griffel. Sind Sportler Dichter, oder nicht mehr ganz dicht? Das fragt sich unser Kolumnist.

Stuttgart - Wenn es um die großen Sportler und ihre tiefe Beziehung zur Literatur geht, fällt uns unweigerlich Mario Basler ein – alle nannten ihn seiner Einfachheit halber „Super Mario“, und auf die Frage, welches Buch er zuletzt gelesen habe, versicherte er einmal glaubhaft: „Ich weiß nicht mehr, wie es hieß, aber es war spannend und handelte von einer Familie.“

 

Bei soviel Liebe, Leidenschaft und Lust aufs Lesen ist es kein Wunder, dass die Legenden des Sports auch das Schreiben inzwischen nicht mehr den Dichtern und Denkern überlassen.

Man glaubt kaum, was an Sportlermemoiren und sonstigen Heldenergüssen momentan wieder alles kursiert. Die Regale der Buchläden sind voll mit Lebenserinnerungen, die – salopp gesagt – kein Mensch braucht, aber offenbar trotzdem liest. Usain Bolt hat soeben sein Buch „Wie der Blitz“ veröffentlicht, und als Höhepunkt schildert der schnellste Mann der Welt, wie es abläuft, wenn er mit dem Vater auf Jamaika telefoniert. Einmal ging das so:

„Hey, Pops, wie geht’s?“, fragte Usain.

„Hi, Usain“, antwortete der Papa. „Es ist alles in Ordnung. Mir geht es gut, deiner Mutter geht es gut – wir tun zurzeit nichts anderes als es zu treiben.“

Sex, Sex und nochmals Sex

Der Sex von Mama und Papa ist sozusagen der letzte Schrei auf dem Büchermarkt. Nachdem mittlerweile auch der letzte Leser weiß, wie der Star als solcher es treibt, im Bett oder während des Telefonierens, gebückt oder im Kopfstand, müssen jetzt die Eltern ran – und bei Bolts unterm Sofa geht es da besonders turbulent zu, vor allem bei Vadder, wie Usain schreibt: „Es ist verrückt, aber egal, worüber ich mit ihm rede, das Wetter oder Autos, irgendwann dreht sich das Gespräch immer darum, was im Schlafzimmer vor sich geht.“

Nicht nur bei den Bolts, sondern generell. Der aufgeklärte Leser ist ganz scharf drauf, schon Arnold Schwarzeneggers Lebensbeichte „Total recall“ wurde vergangenes Jahr im Weihnachtsgeschäft blindlings gekauft, obwohl oder weil die Kritik dem Machwerk den Geruch der Alterspeinlichkeit bescheinigte und die Unfähigkeit des Kärntner Muskelbergs bemängelte, „den Reißverschluss der Hose geschlossen zu halten“.

Keinem gelingt das mehr. Auch Mike Tyson zeigt sich in seinen neuen Memoiren unter der Gürtellinie wie Gott ihn schuf. „Undisputed Truth“ heißen sie, und auf 592 dicken Seiten enthüllt der alte Schwergewichtschampion diese unbestreitbare Wahrheit über Drogen und Sex – oder wie er einmal eine Dopingkontrolle mit einem falschen Penis in der Hose überstand, den er mit dem sauberen Urin eines anderen füllte. Glaubhaft schildert Tyson zudem, dass eine seiner größten Freude vorne mit „F“ begann, und er meint nicht den Fußball, das Fasten oder das Fallschirmspringen. Im Übrigen hatte der Knast, in dem er wegen Vergewaltigung saß, auch sein Gutes – hinter Gittern fing er an, Tolstoi und Shakespeare zu lesen.

Und was müssen wir lesen? Tyson.

Boris Becker hat wieder einmal die Aussage nicht verweigert

Oder Boris Becker. Auch der hat von seinem Aussageverweigerungsrecht wieder einmal nicht Gebrauch gemacht. Sein neues Werk heißt „Das Leben ist kein Spiel“, aber das Lesen fast noch weniger, auch mit diesem literarischen Erguss wird Bum-Bum-Boris nicht den Pulitzerpreis gewinnen. Das Problem ist: schon in früheren Schilderungen hat er sich über sein Wesen als Weltstar und das Wesentliche seines Wirkens nahezu auserzählt, nicht zuletzt, wie er damals in London mit jener Russin im Vorbeigehen Töchterchen Anna gezeugt hat, lassen wir uns den Kraftakt nochmal schnell auf der Zunge zergehen: „Sie verließ ihren Tisch Richtung Toilette. Ich hinterher. Fünf Minuten Small-Talk, und schon ging’s in der nächstmöglichen Ecke zur Sache.“

Muss man derart zum Griffel greifen? Ja und nein, sagen Freund und Feind, für die einen ist so ein schreibender Sportler ein Dichter, für die anderen nicht mehr ganz dicht. Der alte Mime Manfred Krug meinte über die mitteilsamen Promis einmal, sie hätten der Welt eigentlich wenig zu sagen, außer, dass sie „gut vögeln können“ – als „Tatort“-Kommissar hätte Krug solche Selbstentblößer für ihr Herunterlassen der Hose vermutlich kurzerhand verhaftet, aber im richtigen Leben ist ein Amoklauf durch die Geisterbahn der sportlichen Literatur nicht strafbar.

Im Übrigen gibt es auch gute Gründe, die für solche Memoiren sprechen: Man muss so ein Buch ja nicht kaufen, und wer es geschenkt kriegt, kann im Winter damit die Wohnung heizen. Außerdem sind sie in aller Regel leicht lesbar, angeblich konnten bei Testversuchen acht von zehn Schimpansen den zu Papier gebrachten Gedankengängen problemlos folgen – auch Stefan Effenbergs Lebensgeständnisse („Ich hab’s allen gezeigt“) haben einst niemanden überfordert, er lockerte sie mit erotischen Fotos auf und mit einem Hörbuch (man hat schließlich auch Fans, die des Lesens nicht unbedingt mächtig sind), und der „Spiegel“ notierte damals beeindruckt: „Effenbergs konsequentes Motto: mehr Idiotie wagen!“

Warum werden immer nur Menschen für hirntot erklärt?

Ein paar gibt es noch, die sich sträuben. Bayernstar Arjen Robben kommt demnächst mutig mit einem Kinderbuch heraus und trotzt damit dem Zeitgeist wie letztmals Axel Schulz mit seinem Gourmetratgeber „Kochen mit Biss.“ Doch heute ist ein anderer Biss verlangt, also erzählt Mike Tyson seinen Ohrenbiss gegen Evander Holyfield nochmal nach, oder Christine Rocchigiani, als Boxergattin frisch geschieden, beißt gegen ihren Ex mit der Autobiografie „K.o. nach 12 Runden“ zu. „Sex! Koks! K.o.!“, titelte „Bild“ im Vorabdruck, jedenfalls muss ihr Graciano ein ganz Wilder gewesen sein. Hören wir kurz rein: „Wir haben täglich Sex. Manchmal vier oder fünf Mal. Und der geht in den Puff?!“ Als Rache dafür haut die Berliner Exkellnerin jetzt uns allen ihr Erstlingswerk um die Ohren.

Vermutlich ist das der Punkt, den Neil Postman als Urvater der Medienkritik gemeint hat, als er vor langer Zeit vor dem Absturz auf das tiefer gelegte Niveau der Infantilität warnte: „Wir amüsieren uns zu Tode.“ Eine Frage hätten wir aber vorher schon noch: Warum werden immer nur Menschen für hirntot erklärt? Warum nicht auch Bücher?