Beim DFB läuft nach der sprachlichen Entgleisung von Hansi Flick jetzt alles politisch ganz korrekt. Denn die Rhetorikschulung hilft, sich nicht um Kopf und Kragen zu quasseln – und im Zweifel wird geschwiegen.

Stuttgart - Nach ein paar Anlaufproblemen verhält sich die DFB-Delegation bei der EM in puncto politischer Korrektheit jetzt tadellos. Zur letzten Pressekonferenz ist Jogi Löw nicht mit einem Kübelwagen aus alten Wehrmachtsbeständen vorgefahren, und ebenso wenig hat er die Frage, wie seine Jungs den Holländern begegnen wollen, mit dem fragwürdigen Kalauer beantwortet: „Zäh wie Leder, hart wie Krupp-Stahl.“

 

Wo Hansi Flick war? Im Hotel. Vermutlich Hausarrest. Sicherungsverwahrung, in Kombination mit zwei Nachhilfestunden in Rhetorik, die der DFB neuerdings anbietet, damit sich keiner um Kopf und Kragen quasselt. Hundertmal hat der Co-Trainer angeblich schreiben müssen: „Ich sage nur noch Floskeln.“ So hat es der DFB seinen Leuten empfohlen: Sie sollen sich, um die polnischen und ukrainischen Gastgeber nicht mehr zu brüskieren mit spontanem Blabla, bei heiklen Fragen „nicht in Details verwickeln lassen“, sondern „eher grundsätzlich argumentieren“.

Flick wurde weggesperrt

Das gelingt nun schon seit mehreren Tagen perfekt. Die Besonderheit der Situation wird immer gründlicher erkannt, und dass Flick sozusagen weggesperrt wurde, bis die Lektion auch bei ihm sitzt, zeigt die Sensibilität des DFB – vor dem Hollandspiel bleibt des Co-Trainers stramme Devise („Stahlhelm auf!“) jedenfalls unausgesprochen.

Die DFB-Schulungsmaßnahmen fruchten – dieses Einimpfen des perfekten Verhaltens, also auf gut Deutsch: das Briefing. „Alle wurden gebrieft“, sagt Oliver Bierhoff. Sich selbst hat der DFB-Manager vermutlich sogar mehrfach gebrieft, seit den Zentralrat der Juden in Deutschland die Wortwahl erstaunte, mit der Bierhoff die DFB-Planungen zum Gedenken des Holocaust während der EM so skizzierte: „Es kann ein Kamingespräch sein oder ein Vortrag.“ Weiß er denn nicht, fragte kopfschüttelnd der Präsident Graumann, „dass in Auschwitz unsere Menschen durch den Kamin gejagt worden sind“? Trotz der guten Geste des DFB-Besuchs in Auschwitz steht seither der Vorwurf im Raum: gefühllos, geschmacklos – gedankenlos.

So wie Bastian Schweinsteiger in Abwesenheit seiner Gedanken schon mal die Hand des Bundespräsidenten nicht mehr sieht, so vergauckt sich immer mal wieder ein Kicker. Michel Platini ist da gerissener: „Ich bin Fußballer, nicht Politiker“, sagt der Uefa-Boss, setzt sich neben den ukrainischen Staatschef Janukowitsch auf die Tribüne – und hält ansonsten die Klappe, als hätte er als Gasthörer am DFB-Rhetorikkurs teilgenommen.

Überfälliges Seminar

Die Spieler begrüßen das Seminar zweifellos als überfällig. Jedem Dalmatiner steht per Gesetz ein Maulkorb zu, der ihn kontrolliert kläffen lässt – aber die Kicker wurden viel zu lange schutz- und zügellos an der langen Leine alleingelassen. Herr, wirf Hirn ra, hat man die Politik oft genug rufen hören, wenn ein Fußballer im Ausland gastierte.

In Australien kreuzte André Gumprecht, ein Ex-Profi von Bayer Leverkusen, beim Kostümball seines Clubs Central Coast Mariners einmal als Hitler auf. Wie ein Buschfeuer gingen die Bilder des braun gekleideten Narren mit dem aufgeklebten Bärtchen unter der Nase um die Welt – da ist selbst beim Kölner Boxidol Peter („de Aap“) Müller noch eher gelacht worden, der in den 50ern vor einem Kampf in den USA im Ring mit der Mundharmonika das Horst-Wessel-Lied vortrug, weil er die SA-Hymne für die deutsche Nationalhymne hielt. Hatte der eine einen Kampf und der andere einen Kopfball zu viel?

Nein, die beiden waren nur schlecht gebrieft – wie der DFB-Präsident Hermann Neuberger bei der WM 1978, als er dem ins Land der argentinischen Militärjunta ausgewanderten Fliegeroberst Rudel unter dem Kopfschütteln aller Nazigegner die Tür im deutschen Mannschaftsquartier in Ascochinga auftat. Heute wäre das undenkbar: Neuberger würde sich ins eigene DFB-Schulungsprogramm aufnehmen und den Rudel spätestens tags darauf ausladen – mit Floskeln, ohne das Maul zu verbrennen.

Fallen und Fettnäpfchen

Solche Rhetorik- und Verhaltenskurse boomen. Jeder tätowierte Bodybuilder will heutzutage cool antworten, kein halbgarer Klatschspaltenpromi mehr Stuss von sich geben – für einen geringen Aufpreis gibt es sogar Wochenendangebote für Politiker mit der Garantie, ihnen das unüberlegte Geschwätz binnen drei Tagen abzugewöhnen. Da hatte es Lothar Matthäus noch schwerer – unpräpariert kollidierte er deshalb auf dem Oktoberfest einmal mit einem Holländer, der hinterher erzählte, unser Rekordnationalspieler habe ihm den Vogel gezeigt und gesagt: „Ach, auch noch Holländer, das sind sowieso alles Arschlöcher, und du bist wohl vergessen worden vom Adolf.“

So lauern jeden Tag überall unvermutete Fallen und Fettnäpfchen, und ohne Briefing kriegt das kein Kicker mehr auf die Reihe, fragen Sie Miro Klose: Der ist als gebürtiger Oberschlesier zurzeit angewiesen auf jedes wohltemperierte Wort, um die Polen zu besänftigen, die ihm vorwerfen, dass er sich nicht als Pole fühlt – und wenn er nach der EM heimkehrt zu Lazio Rom, muss er auch dort wieder die politisch korrekten Worte finden, denn die ganz kernigen Lazio-Fans schreiben auf ihren Transparenten das „s“ in Klose zackig und SS-runenhaft und feiern ihn als größten Liebling seit ihrem früheren Torjäger Paolo di Canio, der oft genug meinte, in der Fankurve seinen Arm zum faschistischen Gruß heben zu müssen.

So muss man als Fußballer gut gebrieft werden, sonst hat man entweder die Kurve am Hals oder die Ehrentribüne – und die DFB-Schulung rät jetzt, auf ausholende Weisheiten zu verzichten und sich im Zweifelsfall auf die Zunge zu beißen wie Katrin Müller-Hohenstein. Die ZDF-Moderatorin zeigt, wie es geht. Vor zwei Jahren hat sie sich nach einem Tor von Klose („Das muss für den wie ein innerer Reichsparteitag sein“) noch in Teufels Küche geplappert – doch heute lässt sie so was kaltschnäuzig weg und dreht jedes waghalsige Wort zweimal im Mund rum, bevor sie es ausspricht. Vermutlich hat auch sie sich mit Hilfe des DFB-Verhaltenskatalogs briefen lassen. Schon Paragraf 1 hilft da entscheidend weiter: Mit dem Schließmuskel des Mundes ist es wie mit dem des Afters – wenn er versagt, geht der Schuss in die Hose. Beim DFB sind jetzt alle dicht.