Carlos Dunga ist zurück. Und mit „O Alemão“, dem Deutschen, geht es für die brasilianische Fußball-Nationalmannschaft statt 1:7 plötzlich 1:0 aus. Wie jetzt in Miami gegen Kolumbien. Unser Kolumnist Oskar Beck war dabei.

Miami - Wenn Brasilien gegen Kolumbien spielt, und das in Miami, kann man sich als deutscher Reporter im Grunde die Kugel geben beim Versuch, für ein Vier-Augen-Gespräch zum brasilianischen Trainer durchzudringen. Denn hautnah ist der umzingelt und eingekesselt von Scharen von Landsleuten, die ihm die Mikrofone in den Rachen stecken – kurz: man hat keine Chance.

 

Wie man sie nutzt?

Auf Deutsch. Wir sind schließlich Weltmeister. Auf gut Glück und mitten hinein in das lärmende Stimmengewirr und diese undurchdringliche Menschentraube, die den Begehrten bedeckte, habe ich in der neuen Amtssprache des Weltfußballs also einfach drauflosgerufen: „Grüße aus Stuttgart!“ Carlos Dunga streckte den Kopf aus der Traube. Wenn er Stuttgart hört, kriegt er offenbar immer noch Heimweh, da kann Miami trotz Glamour, Glanz und Gloria einpacken. Dunga schälte sich aus seiner Umzingelung, und beim anschließenden Interview hörte sich sein Deutsch so passabel an, dass den brasilianischen Journalisten spätestens in dem Moment klar wurde, warum sie ihn ständig „O Alemão“ nennen.

Dunga ist 50, sieht aber immer noch aus wie 30, obwohl seine letzten Jahre ziemlich verrückt waren. Man sieht an seinem Beispiel, wie gaga der Fußball sein kann, wie unerklärlich, wie absurd. „Der Deutsche“ – dieses Etikett wird ihm, seit es ihn gibt, von seinen Brasilianern abwechselnd als Schimpf- und Kosewort in die Stirn gebrannt. Zu deutsch war ihnen sein Fußball nach der verkorksten WM 1990, bis er sie als 94er-Kapitän dann prompt zum WM-Titel führte. Bei der WM 2010 war er ihnen dann als Trainer in seinen Methoden zu deutsch – und sie jagten ihn zum Teufel. Doch vier Jahre später ist der Verpönte nun plötzlich wieder da. Oder besser: sieben Tore später.

Die Folgen des Schocks von Belo Horizonte

Offenbar dachten die Brasilianer nach dem Schock von Belo Horizonte: Was macht man, wenn man sieben Stück kriegt von den Deutschen? Was tut man, wenn diese Deutschen dann auch noch Weltmeister werden? Richtig, man holt „O Alemão“ zurück.

„So ist Fußball“, lacht Dunga.

Dabei glaubt halb Brasilien, dass er gar nicht lachen kann. In Wahrheit lacht er nur anders, etwas gebremster, er lacht deutsch, und der kleine Unterschied steckt schon in seinem Namen: Nein, Dunga ist nur der Spitzname, als Kind hat ihn ein Onkel so benannt nach einem der sieben Zwerg in „Schneewittchen“, richtig heißt er Carlos Caetano Bledorn Verri. Das Bledorn steht für die Oma. Nach Rio Grande do Sul ist die einst ausgewandert und hat dem Enkel ein paar Primärtugenden aus der alten deutschen Heimat sozusagen mit der Großmuttermilch eingeflößt, darunter die pragmatische Denkweise, die Dunge so beschreibt: „Drei Dinge müssen stimmen – die Resultate, die Resultate und die Resultate.“

Das erste Resultat stimmt. Brasilien ist am Freitag von den Toten auferstanden, die Schockstarre löst sich, denn kurz vor Schluss hat Neymar vor 73 649 Faszinierten im Sunlife-Stadion in Miami einen Freistoß zum 1:0 ins kolumbianische Lattenkreuz gezwirbelt und hinterher gesagt: „Der Trainer hat dieselbe Philosophie wie ich – er will gewinnen.“ Egal wie. Jedenfalls ist Dunga ein 1:0 lieber als ein 1:7. Er denkt kontrolliert offensiv und ergebnisorientiert, will nicht in Schönheit sterben und kehrt deshalb jetzt ein paar alte Sambaträume und die WM-Scherben weg, mit dem eisernem Besen.

Wie das geht, weiß er aus seinem ersten Leben, als Spieler in Stuttgart. Wir Schwaben haben bekanntlich unsere Kehrwoche, das Treppenhaus wird dann nass gewischt und der Flur gefegt, und damit die Nachbarn nicht schimpfen, muss man diszipliniert sein. Dunga war damals, Mitte der 90er, der Denker und Lenker des VfB, und weil er als Staubsauger vor der Abwehr immer alles weggefegt hat, ergab sich unvermeidlich die Reporterfrage: „Wie hält es ein Brasilianer mit der schwäbischen Kehrwoche?“ Dunga verzog kurz das Gesicht und räumte unter dem Nicken von Frau Evanir, Tochter Gabriela und Sohn Bruno ein paar Anlaufschwierigkeiten ein, aber schon im nächsten Moment hätte er am liebsten zu Wassereimer und Schrubber gegriffen, um mir zu zeigen, wie er hinlangen kann. „Mit der Kehrwoche“, sagte er, „ist es wie mit der Disziplin in der Bundesliga – ich komme mit ihr klar.“

Bei Dunga zählt nur der Sieg, alles andere ist egal

Jetzt müssen nur noch seine Brasilianer mit ihm klarkommen, dem Ärmelhochkrempler Dunga, der früher die Räume eng und die Löcher zugemacht hat und als Trainer genauso tickt. Die Fundamentalisten im alten Schlaraffenland des bezaubernden Zuckerhutfußballs haben mit so einem ihre Not. Wer verwöhnt worden ist von Pelé und Garrincha oder von Ballstreichlern wie Rivelino, Zico oder Ronaldinho, will mehr – nämlich mit der Zunge schnalzen.

Dunga will nur gewinnen.

Dafür wird jetzt geschwitzt, und nirgends lässt sich diese Tortur besser anfangen als in der schwülen, unbarmherzigen Hitze Floridas. Mit der Trillerpfeife zwischen den Zähnen hat sich Dunga seine Brasilianer im Training vorgeknöpft, zwei höllische Stunden lang, und den deutschen Reporter, bevor der um Gnade für die Gefolterten flehen konnte, besänftigt: „Talent ist wichtig, aber entscheidend ist Arbeiten, Arbeiten, Arbeiten“.

Das klingt alles ziemlich deutsch, und überhaupt steht die alte Welt kopf, in der wir Deutschen noch vor Neid schier umgekommen sind, wenn wir den tänzerischen Sambafußball sahen und Berti Vogts als Bundestrainer beispielsweise sagte: „Verglichen mit den Brasilianern bewegt sich ein Deutscher wie ein Kühlschrank.“ Jetzt sorgt Dunga dafür, dass sich auch die Brasilianer bewegen, und tanzen lässt er sie nach seiner deutschen Pfeife.

„Wir waren früher die Besten und wollen es wieder werden“, droht „O Alemão“ und kupfert bei Jogi Löws Weltmeistern eins zu eins deren beste Vorzüge ab, bis ins letzte Detail: Die Deutschen schossen ihr 1:0 im WM-Finale sieben Minuten vor dem Abpfiff – wie jetzt auch Neymar das 1:0 in Miami.

Die Brasilianer leben seit Freitag wieder – dank Oma Bledorn, die es nach Rio Grande do Sul verschlug.