Martin Kind in Hannover, Clemens Tönnies in Schalke: die Fußballbosse des alten Schlags lassen die Trainer tanzen, findet unser Kolumnist Oskar Beck – und erinnert sich an manches Schmankerl aus der Bundesligageschichte.

Stuttgart - Präsidenten haben einen teuflischen Job. Alle Welt weiß das spätestens seit dem qualvollen Tag, an dem der frühere US-Präsident George W. Bush stundenlang hin und her überlegt, sich das Hirn zermartert und schließlich mit den Worten kapituliert hat: „Sicher habe ich Fehler gemacht – aber mir fällt jetzt keiner ein.“

 

Da hat Martin Kind noch mal Glück gehabt.

Denn dieses grässliche Problem hat der Präsident von Hannover 96 nicht. Kind muss nach einem Fehler nicht lange suchen, er kann den von neulich nehmen, als er eklatant gegen das mahnende Sprichwort verstieß: Wirf nie einen alten Eimer weg, bevor du nicht weißt, ob der neue dicht ist. Der Präsident Kind hat seinen Trainer Mirko Slomka weggeworfen, ehe er wusste, ob er einen Besseren findet. Er hat sozusagen die Socken vor den Schuhen ausgezogen, und das geht selten gut. Die Suche nach einem neuen Trainer, der möglichst auch noch ganz dicht ist, hat sich jedenfalls als schleppend erwiesen, und tagelang konnte Kind im Grunde fast nur noch auf Lothar Matthäus hoffen – oder auf Tayfun Korkut. Das ist jetzt Hannovers neuer Trainer.

Ein Fußball ist nicht sechseckig

Das Krisenmanagement war jedenfalls krottenschlecht – und in den Fantribunalen des Internets steht Kind jetzt als Diktator am Pranger, vielfach beschossen von der Empfehlung, er möge sich doch endlich einmal fachkundig beibringen lassen, dass ein Fußball weder sechseckig noch innen aus Hartgummi und außen aus Birkenholz ist. Es wird für den herrschenden Hannoveraner kein großer Trost sein, aber auf Schalke läuft es für den Big Boss momentan auch nicht viel besser. Der Wurstfabrikant Clemens Tönnies hat dort, sagen wir es ruhig salopp, seinen Trainer tagelang durch den Fleischwolf gedreht – doch dann hat er alles, was von Jens Keller noch übrig war, ganz jäh aus dem Gewinde wieder ins Trainerleben zurückgeholt und ihn begnadigt. Vorübergehend. Vermutlich bis Februar.

Auch Tönnies spielt in den tobenden Fanforen jetzt seine ruhmlose Rolle als Tollpatsch im Tollhaus, und alles in allem befürchten viele, dass die letzten Alleinherrscher dabei sind, sich vollends den eigenen Ast abzusägen.

„Jeder darf ungestraft meiner Meinung ein“

Vier Patriarchen des alten Schlags sind in der Bundesliga derzeit noch maßgeblich tätig, der dritte ist Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp, der vierte der Augsburger Präsident Walther Seinsch – aber wenigstens die beiden Letztgenannten machen uns dieser Tage keine Sorgen. Bei Seinsch ist das keineswegs selbstverständlich. Denn wie früher als Karstadt-Manager oder Gründer der Textilketten Takko und Kik regiert er auch den FCA, also notfalls hemdsärmelig, er zieht die Drähte in seiner Augsburger Puppenkiste so ungefähr nach dem demokratischen Motto: „Jeder darf hier ungestraft meiner Meinung sein.“ Ohne Seinsch wäre Bundesliga-Fußball in Augsburg undenkbar, und den Abstieg hat er letzten Sommer so gut wie alleine verhindert, nämlich mit seinem Schwur in Richtung Hannover: „Schlagt unseren Rivalen Düsseldorf, und ich schicke euch zum Dank zwanzig Jungfrauen.“ Worauf eine grüne Parlamentarierin eine sofortige Entschuldigung verlangte „an alle Frauen, die täglich darunter leiden, dass Männer sie zu Objekten machen, die zwangsprostituiert, geschlagen und/oder vergewaltigt werden“ – flankiert von der empörten Zusatzfrage: „In welchem Zeitalter lebt dieser Mann?“ Die Antwort ist kinderleicht: Seinsch ist übrig geblieben aus der Ära der Patriarchen – dieser vom Aussterben besonders bedrohten Art der Paradiesvögel.

Aber wären wir ohne sie glücklicher?

Es gäbe, zugegeben, weniger zu meckern. Allerdings auch weniger zu lachen. Ohne Kind und Tönnies müssten wir uns dieser Tage in puncto Kichern mit Michael Edwards begnügen, der als „Eddie the Eagle“ der lausigste Skispringer aller Zeiten war und jetzt, 30 Jahre später, bei der Vierschanzentournee verrät: „Ich hätte damals viel mehr Groupies mit ins Zimmer nehmen können.“ Oder wir müssten uns gar der Dart-WM widmen, wo die Pfeilwurflegende Phil Taylor weitgehend dasselbe behauptet („Meine Groupies sind inzwischen so alt wie ich, haben keine Zähne und gehen am Stock“). Hand aufs Herz, was ist mitreißender: das Liebesleben alternder Phils und eingeschlafener Eddies – oder der Eigensinn der eisernen Patriarchen?

Entlassung in der Halbzeitpause

Die Geschichte der Bundesliga ist voll davon. Immer wieder haben zackige Vereinsführer ihre Trainer tanzen lassen und bei Nacht vor die Tür gesetzt, und so zweitklassig ihre Auftritte dabei auch gelegentlich waren, die reine Unterhaltung war oft genug erstklassig – spontan denken wir da an Jean Löring, den unvergesslichen Präsidenten von Fortuna Köln, der anno 99 anlässlich eines 0:2-Halbzeitrückstands mit gefühlten drei bis vier Weinbränden im Blut in die Kabine stürmte und die Gardinenpredigt seines Trainers Toni Schumacher mit dem Machtwort unterbrach: „Raus hier, du hast hier nichts mehr zu sagen!“ So hat er getickt, der Vereinschef von anno Tobak. Der Prototyp war Wilhelm Neudecker beim frühen FC Bayern. „Hier muss sich was ändern“, bat ihn einmal, als es kriselte, sein Trainer Udo Lattek. „Ist gut“, sagte Neudecker, „Sie sind entlassen.“ Nicht von Pappe war auch sein Satz: „Wann ich aufhöre? Erst wenn ich ins Grab falle. Und dann mache ich noch zwei Jahre weiter.“

Diskutiert hat der Ober-Bayer nur mit sich selbst, so wie beim VfB der Mayer höchstens den Vorfelder fragte. Was alle Patriarchen stets verband, war das alte Kanzlermotto von Willy Brandt: „Die Demokratie darf nicht so weit gehen, dass in der Familie darüber abgestimmt wird, wer der Vater ist.“ Und im Club, wer der Boss ist. Sicherheitshalber wurde nach Gutsherrenart regiert, von Baulöwen und Teppichhändlern, Herrenausstattern und Unternehmensberatern, Asbach-Uralt-Generalvertretern oder neureichen Sonnenkönigen. Viele Schalker, die überlebt haben, schwärmen noch heute von Günter Eichberg. Der führte diverse Privatkliniken, Spezialität Krampfadern, und hätte sich Schloss Hohenschwangau kaufen können, aber stattdessen gönnte er sich als Spielzeug Schalke 04. Als Ernst Kuzorra, die königsblaue Fußballikone, eines Tages 84-jährig verstarb, flog der Präsident aus seinem Zweitquartier in Florida wie von der Tarantel gestochen heim. Eichberg kam zwar auf dem Friedhof zu spät an, aber kurzerhand ließ er die Fotografen noch mal antreten und stellte sich ergriffen ans Grab – so wurde Kuzorra zweimal beerdigt, wie es sich für einen König gehört.

Der Elfmeter war Chefsache

Seine eigene Autogrammkarte hatte Eichberg ebenfalls stets parat, aber noch beeindruckender war die des 1860-Präsidenten Karl-Heinz Wildmoser – denn mit seiner Unterschrift garantierte der König der Münchner Löwen jedem Fan, „dass Sie mir persönlich begegnet sind und mich warmherzig, höflich, intelligent und witzig fanden“.

Haben wir jetzt Klaus Steilmann vergessen? Der Modekönig und Textiltycoon vollbrachte das geradezu Menschenunmögliche und beförderte Wattenscheid 09 in die Bundesliga. Sein Wort war Gesetz: Wer die Kapelle bezahlt, bestimmt die Musik. Einmal die Woche, wenn Steilmann für die Alten Herren stürmte, galt striktes Telefonverbot („Da bin ich weder für den Papst noch für die ,Bild‘-Zeitung zu sprechen“), und die Elfmeter waren Chefsache. Und wenn einer Mist baute, fluchte er: „Dem reiß ich die Hämorrhoiden aus dem A. . .!“

Das alles geht heute nicht mehr. Die Alleinherrscher gelten als überholt. Volks- und Standgerichte aller Art schreiben ihnen pingelig vor, ob sie ihren Trainer feuern dürfen, und falls ja, wann und wie. „Kind raus!“, ruft halb Hannover inzwischen so gellend, dass Martin Kind, der im richtigen Leben Hörgeräte herstellt, die Produktion vermutlich demnächst umstellt – auf Ohrenstöpsel.