Vor 150 Jahren hat man an der Ostspitze von Wangerooge einen Leuchtturm errichtet. Heute steht er in der Mitte der Insel, denn die Strömung lässt die ostfriesischen Inseln wandern. Ingenieure versuchen nun, die Inseln mit großen Bauwerken zu bewahren.

Stuttgart - Das größte Kapital der deutschen Nordseeinseln sind ihre kilometerlangen, schneeweißen Sandstrände. Doch vor allem auf den ostfriesischen Inseln ist dieses Kapitel in Gefahr. Die West-Ost-Drift, die aus dem nach Osten gerichteten Brandungsströmungen und den Gezeitenströmungen in der Nordsee resultiert, nagt an den Westköpfen der Inseln. Dazu kommen der stetige, meist aus Westen blasende Wind und die Sturmfluten in den Winterhalbjahren.

 

Die Drift der Inseln ist enorm. Sie trägt die Inseln an ihrer Westseite ab und lagert den Sand im Osten wieder an. Zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert nahm die Insel Wangerooge im Westen etwa zwei Kilometer ab und im Osten etwa vier Kilometer an Länge zu. So ist der 1856 im Osten errichtete Leuchtturm inzwischen in der Mitte der Insel gelandet. Das Westende von Baltrum lag um 1650 ebenfalls rund 4,5 Kilometer westlicher als jetzt. Und auch die anderen bewohnten Inseln vor der Küste Ostfrieslands wie Borkum, Juist, Norderney, Langeoog und Spiekeroog verlagerten sich in den vergangenen Jahrhunderten nach Osten oder veränderten ihre Form.

Früher sind die Bewohner mit ihrer Insel mitgezogen

„Das war früher kein Problem, als nur wenige Menschen auf einer Insel lebten, die mit ihren einfachen Häusern immer weiter Richtung Osten zogen“, sagt der Dezernent des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft Küsten- und Naturschutz (NLWKN) Frank Thorenz. „Aber mit dem Bädertourismus kommen Gäste auf die Insel, und es werden Steinhäuser, Hotels und Kuranlagen gebaut. Diese können nicht mehr einfach umziehen.“

Alle Inseln mit Ausnahme von Langeoog müssen also, um den Tourismus und damit ihre Wirtschaftskraft zu erhalten, in ihrer Lage durch massive Deckwerke aus Beton und Asphalt stabilisiert werden. „In den Bereichen, wo es möglich ist, setzen wir allerdings auch an natürlichen Prozesse angepasste Küstenschutzmaßnahmen wie etwa ingenieurbiologische Dünenbaumaßnahmen ein“, erläutert Thorenz.

Der Westkopf der Insel Wangerooge mit seinem massiven Befestigungsbauwerk zeugt vom gewaltigen Aufwand, der betrieben werden muss, um die Grundposition der Insel zu bewahren. „Die Beton und Asphaltkonstruktionen mit ihren Wellenbrecherfunktionen und den langen Steindämmen, den sogenannten Buhnen, sind dazu da, frühzeitig die Wellenenergie reduzieren, damit keine Schäden angerichtet werden können“, sagt Jürgen Rullkötter, Geochemiker und Institutsdirektor an der Universität Oldenburg. Doch steter Tropfen höhlt den Stein. Egal wie massiv die Befestigungen auch sind: den gewaltigen Kräften von Strömung und Wellenschlag hält kein Bauwerk auf Dauer stand.

Der Westkopf von Wangerooge ist schon 1974 fertig gestellt worden. „Wenn man sich umschaut, sieht man, dass dieses Bauwerk schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat und viele Abbrüche und Schäden zeigt“, sagt Rullkötter. Deswegen sei geplant, das Deckwerk wieder neu herzustellen, wahrscheinlich schon im kommenden Jahr. „Das wird sich sicherlich über mehrere Jahre hinziehen – und dann hoffentlich wieder mehrere Jahrzehnte standhalten.“

Auf dem Betonwall wird eine Promenade geplant

Für die westlich gelegene Insel Baltrum wird ein solches Deckwerk derzeit vom NLWKN geplant. „Das Problem in Baltrum war, dass die schon aus den 70er Jahren kommende Befestigung nicht hoch genug war und außerdem bei schweren Sturmfluten nicht ausreichend standsicher ist“, sagt Thorenz. Die Küstenbauingenieure um Thorenz ermittelten mit Computermodellen die bei etwaigen Sturmfluten auftretenden Wellenhöhen. Danach überprüften sie an einem im Maßstab von 1 zu 10 gebauten Modell im Wellenkanal der Technischen Universität Braunschweig, ob der derzeitige Bau den Drücken der erwarteten Wellen standhalten kann und wie viel Wasser bei einer Sturmflut überlaufen würde. „Die Untersuchungen haben ergeben, dass die Strandmauer bei einer schweren Sturmflut überflutet und das Westdorf von Baltrum überschwemmt werden könnte“, berichtet Thorenz. Außerdem hält er es für möglich, dass die nur durch eine Spundwand gegründete Mauer nicht standsicher ist – was einen noch verheerenderen Einbruch der Wassermassen nach sich ziehen würde. Die Sturmfluten im November 2006 und 2007 haben im Städtchen der Insel Schäden verursacht und verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Küstenschutzanlagen zu verstärken.

„Nachdem in den vergangenen Jahren das Deckwerk am Westkopf der Insel saniert und umgestaltet wurde, wird dieses Jahr der nach Osten führende Abschnitt abgeschlossen werden“, erklärt Thorenz. Dabei soll eine vorhandene Hochwasserschutzwand abgebrochen und durch einen gut zwei Meter höheren, flach geneigten Damm ersetzt werden. Die Küsteningenieure bevorzugen flache Dämme, da diese die Kräfte der Wellen besser abbauen können als steile. Am Ende werden die Dämme mit Klei, einem besonders erosionsbeständigen tonigen Boden aus der Marsch, abgedeckt. Die Krone des neuen Deiches wird sich dann 10,20 Meter über den Meeresspiegel erheben, was eine wesentlich höhere Sicherheit bedeutet.

„Natürlich haben wir auch bei der Berechnung der Endhöhen der Inselschutzanlagen schon den zu erwartenden Meeresspiegelanstieg der nächsten 100 Jahre durch die Klimaerwärmung mit einbezogen“, sagt Thorenz. Und sie haben vor, auf den Deichen eine Promenade für die Touristen anzulegen. So oder so ähnlich werden bei den meisten Ostfriesischen Inseln die Deckwerke in den nächsten Jahren saniert. „Die Inseln sind bildlich gesprochen vorgelagerte Wellenbrecher für die Küste“, sagt der Ingenieur Thorenz.