Papier mal nicht als Bildträger, sondern als Kunstobjekt an sich zeigt die Galerie Stihl Waiblingen in der Ausstellung „Scharf geschnitten. Vom Scherenschnitt zum Papercut“. Neben historischen Beispielen sind zeitgenössische Arbeiten zu sehen.

Waiblingen - Vorsicht – frisch geschnitten! Für ihre Kunstwerke nutzt Birgit Knoechl ein sehr scharfes Teppichmesser. Damit schneidet die Wiener Künstlerin ihre zuvor mit Tusche auf Papier gezeichneten Motive, oft sind das abstrahierte Pflanzenformen, aus zehn Meter langen, anderthalb Meter breiten Papierrollen aus. Ein wenig ähnele ihre Arbeit einem Tanz auf Papier, sagt Knoechl. Mit kleinen Nadeln fügt sie dann kunstvoll die einzelnen, verschlungenen Gebilde zu einem großen Ganzen zusammen.

 

Insgesamt 21 schwarze und weiße Papierschnitte bilden beispielsweise die Cut-Out-Installation „Out of Control_Revisited – The Autonomy of Growth“, die von Samstag an in der Galerie Stihl Waiblingen im Rahmen der Ausstellung „Scharf geschnitten. Vom Scherenschnitt zum Papercut“ und nur dort zu sehen sein wird. Denn Knoechl verwendet zwar bisweilen einzelne Module ihrer Installationen zu einem späteren Zeitpunkt wieder, arrangiert sie dann aber komplett anders. Zwei Tage hat Birgit Knoechl allein für den Aufbau ihres Kunstwerks benötigt, das nun wie ein riesiges Gewächs aus einer weißen Wand wuchert.

Von wegen bieder: ironisch-kritische Werke von Luise Duttenhofer

Wie viel Zeit Luise Duttenhofer in ihre Scherenschnitte gesteckt hat, das kann wohl keiner sagen. Um 1800, zur Blütezeit des Scherenschnitts, war die 1776 in Waiblingen geborene Künstlerin schwer angesagt. Als Frau war ihr zur damaligen Zeit eine professionelle Ausbildung zur Malerin verwehrt. „Deshalb hat sie ihre ganze kreative Energie auf den Scherenschnitt gelenkt“, erklärt Barbara Martin, die kommissarische Leiterin der Galerie. Denn wie Lesen oder Stricken sei die Scherenschneiderei zu Duttenhofers Zeit eine beliebte Freizeitbeschäftigung des Bürgertums gewesen.

Mit braven, biederen Bürgern wird die klassische Variante des Scherenschnitts heute denn auch meist in Verbindung gebracht. Doch gerade Duttenhofers Arbeiten seien längst nicht so harmlos, wie sie daher kämen, betont Barbara Martin und verweist auf deren Darstellungen, die etwa das Verhältnis der Geschlechter thematisieren. Da setzt beispielsweise eine Frau ihrem Mann die Hörner auf, ein anderer Schnitt zeigt einen Mann und eine Frau, die einander lange Nasen drehen.

Gewalt statt Gemütlichkeit

Die afroamerikanische Künstlerin Kara Walker nutzt in ihrer Arbeit „Darkytown Rebellion“ aus dem Jahr 2001 ganz bewusst die mit dem klassischen Scherenschnitt assoziierte Biederkeit, um zu schockieren. Ihr über zwei Wände gehender Papierschnitt mit schwarzen Silhouetten einer Menschengruppe wirkt auf den ersten Blick wie eine idyllische Szene, entpuppt sich dann aber als eine Darstellung voll von Gewalt und Brutalität. Da schlägt etwa eine Dame im eleganten Kleid auf ein am Boden liegendes Kind ein. Eine farbige Wandprojektion bewirkt, dass wer herantritt und die Szene betrachtet, auch seinen Schatten darauf wirft und Teil des Geschehens wird.

Auch Annette Schröter mixt in ihrem um die drei Meter hohen Papierschnitt „Kawumm“ Schönes mit Entsetzlichem, Historisches und Heutiges: Am unteren Rand der Arbeit lagert eine aus Papier geschnittene Gruppe, ein Zitat aus einem Gemälde des Romantikers Caspar David Friedrich. Doch während die Damen und Herren im Original auf eine Idylle blicken, beobachten sie bei Annette Schröter eine Katastrophe: eine Stadt, die zerstört wird.

Lena von Goedeke entwirft am Rechner 3-D-Modelle von Landschaften und schneidet diese dann von Hand in Papier, in filigrane Gittermuster und Gebilde, die an Spitzen erinnern. „Die Frau hat ein Skalpell und sehr viel Geduld“, sagt Barbara Martin, welche die Künstlerin in ihrem Atelier besucht hat. Ein Skalpell nutzt auch Georgia Russell für ihre Werke. Mit diesem bearbeitet sie antiquarische Bücher, ritzt und schlitzt die Seiten auf, färbt das Papier. „Die Künstlerin überführt Bücher in eine neue Form“, sagt Martin: „Sie sieht das Zerschneiden als eine Befreiung ihres Inhalts.“

Schere und Papier, Licht und Schatten

Ausstellung:„Scharf geschnitten. Vom Scherenschnitt zum Papercut“ ist bis zum 22. April in der Galerie Stihl Waiblingen zu sehen. Die Ausstellung zeigt historische Scherenschnitte, beispielweise von der Waiblingerin Luise Duttenhofer, aber auch zeitgenössische Beispiele, darunter einen Scherenschnitt-Trickfilm, einen Papierschnitt mit Wandprojektion oder eine Cut-Out-Installation.

Begleitprogramm: Am 8. Februar hält die Volontärin der Galerie Stihl, Stephanie Buck, einen bebilderten Vortrag im Forum Mitte, Blumenstraße 11. Von 15 Uhr an spannt sie dabei den Bogen von Scherenschnitten um 1800 bis zu Arbeiten zeitgenössischer Künstler. Über die Blütezeit des Scherenschnitts in Deutschland spricht am 28. Februar, 18 Uhr, Julia Sedda in der Galerie. Um skulpturale Papierobjekte geht es am 20. März, 18 Uhr, bei einem Vortrag von Alexandra Carmen Axtmann.

Theater: Im Kameralamtskeller finden am 14. und 15. April die Waiblinger Papier- und Schattentheatertage statt, unter anderem zu sehen: „Die kleinste Bühne der Welt“.