Knapp zwei Wochen nach den Olympischen Spielen haben in Sotschi die Paralympics begonnen. Die Ukraine protestiert beim Einmarsch der Nationen im Konflikt mit Russland - und schickt nur den Fahnenträger in das Stadion.

Sotschi - Wir lieben das Leben, wir lieben den Sport.“ Mit seinem Auftritt im Pressesaal des Olympiageländes in Sotschi könnte Waleri Suskewitsch in die paralympische Geschichte eingehen. Das Mitglied des ukrainischen Parlaments sprach in seiner Funktion als Präsident des Paralympischen Komitees der Ukraine. „Wir wollen für unser Recht eintreten, für Frieden. Wir wollen in das Gedächtnis der Weltöffentlichkeit“, sagte Suskewitsch. Die Ukraine wird die Paralympics deshalb nicht boykottieren. Bei der Eröffnungsfeier am Freitag kam indes nur der Fahnenträger Michail Tkatschenko ins Stadion – begleitet von ermunterndem Applaus.

 

Der Vorstoß Russlands auf der Krimm belastet die Weltspiele

Dass ein ukrainischer Politiker auf russischem Boden vor Journalisten aus aller Welt Kritik am Gastgeber äußern darf, ist in diesen Tagen mehr als ungewöhnlich. „Wir sind nicht von der Politik abgekapselt“, sagte er. Längst ist klar, dass der Vorstoß Russlands auf der ukrainischen Halbinsel Krim die Weltspiele des Behindertensports überschatten wird. „Frieden für die Ukraine“, riefen die ukrainischen Sportler, als sie im paralympischen Dorf in Krasnaja Poljana empfangen wurden, einige weinten. Der Komiteechef Suskewitsch stand in den vergangenen Tagen intensiv im Kontakt mit ukrainischen Politikern, vor allem mit Dimitri Bulatow. Der neue Sportminister der Ukraine gehörte in Kiew der Revolutionsbewegung auf dem Maidan an. Im Januar wurde er von prorussischen Kräften entführt und gefoltert. Nach einer Woche wurde er gefunden, blutüberströmt.

Putin gibt keine Garantien

Am Donnerstagabend hat Suskewitsch den russischen Präsidenten für 30 Minuten getroffen. Putin habe ihm keine Garantien gegeben: „Sollte die Lage eskalieren, reisen wir sofort ab.“

Es gibt nicht viele Teilnehmer, die die Gefühlslage der Paralympics so verkörpern wie Waleri Suskewitsch. Gleich zu Beginn der Pressekonferenz sagte er, seinem Fahrer sei bei der Sicherheitskontrolle der Zugang zum Olympiapark verwehrt worden. Er betonte, russische Offizielle hätten sich vorab nach seinen geplanten Äußerungen erkundigt. Doch er erwähnte auch, dass seine Familie vor allem Russisch spricht. Er lobte die Zusammenarbeit mit Wladimir Lukin, der dem Paralympischen Komitees Russlands vorsteht. Lukin ist seit zehn Jahren Menschenrechtsbeauftragter der russischen Regierung.

Kommiteechef Suskewitsch gilt als Idol

„Er ist für viele ein Idol“, sagt der ukrainische Fotograf Walentine Kaminsky über Waleri Suskewitsch. Als Jugendlicher begann Suskewitsch mit dem Schwimmen, sein Vater fuhr mit ihm ans Meer, schubste ihn ins Wasser. Später wurde er nicht in die Schwimmhalle gelassen, die Bademeister wollten ihn wegen seiner Behinderung lieber ins Krankenhaus schicken. Doch Waleri Suskewitsch blieb hartnäckig, zweimal wurde er sowjetischer Meister im Behindertenschwimmen.

Als Politiker setzte Suskewitsch das Recht von behinderten Menschen auf die Agenda. Inzwischen soll sich in jeder Region eine Schule um die Teilhabe von behinderten Kindern kümmern. Gemessen am Standard in Deutschland, Skandinavien oder Großbritannien mag das kaum erwähnenswert sein – für die ehemaligen Sowjetstaaten ist es enorm. Auch im paralympischen Sport haben sich die Ukrainer rasant entwickelt. 2010 in Vancouver erreichten sie den fünften Platz im Medaillenspiegel, im Sommer 2012 in London den vierten.

Dem paralympischen Kommitee fehlen Sponsoren

In Sotschi ließ Waleri Suskewitsch auch eine Beschreibung des Fördersystems einfließen. Stolz ist er auf das moderne Wintersportzentrum in den Karpaten. Was er nicht erwähnte: das Sommersportzentrum in Yewpatoria auf der Halbinsel Krim. Zweieinhalb Kilometer Sandstrand, das landesweit einzige Schwimmbecken mit Olympiamaß, hohe Standards in Medizin und Physiotherapie. Oft haben sich auch nichtbehinderte Athleten auf dem Gelände eingemietet. Das Paralympische Komitee hat das Geld dringend nötig, es hat kaum Sponsoren – der Staat trägt den Etat. Wird den Paralympiern ihr Sportzentrum verloren gehen, wenn sich die Bewohner der Krim für einen Beitritt zu Russland entscheiden? In Yewpatoria sollte eine Modellanlage entstehen: Sport als Rehabilitation von behinderten Menschen. Allerdings sind das nicht die einzigen Herausforderungen für den ukrainischen Sport: Der Fußballverband soll sich wegen Korruption erneuern. Ob die Basketball-EM 2015 in der Ukraine stattfindet und ob sich Lwiw für die Olympischen Winterspiele 2022 bewirbt? Ungewiss.

Die ukrainische Delegation wird nicht schweigen

Waleri Suskewitsch wird sich öfter politisch äußern in den kommenden Tagen. Das sieht das Internationale Paralympische Komitee nicht so gern. Ob das IPC reagieren wird wie das Internationale Olympische Komitee, das während der Winterspiele einen Trauerflor untersagte? Suskewitsch scheint das egal zu sein. Vor wenigen Wochen hat sein Team einen jungen Freund verloren, der 2013 bei den Deaflympics in Sofia teilgenommen hatte, den Weltspielen der gehörlosen Menschen. Er starb während der Proteste in Kiew.