In der Nacht auf Donnerstag beginnen in Rio de Janeiro die Paralympics. Dabei sein ist für die Athleten längst nicht mehr alles und das bringt Probleme mit sich.

Stuttgart - Sie wollen doch nur spielen. Oder springen, reiten, schwimmen, eben all das, was während der Paralympischen Sommerspiele auf dem Programm steht. In der Nacht auf Donnerstag beginnen in Rio de Janeiro die Paralympics, doch nur dabei zu sein ist für die Athleten längst nicht mehr alles. Es geht um Höchstleistungen – in den Sportarenen und beim Spektakel drumherum.

 

Schon die Paralympics 2012 in London hatten neue Maßstäbe gesetzt. Noch nie feuerten so viele Fans die Athleten an, noch nie waren Behindertensportler solche Stars. Auch in Rio sollen Rekorde fallen. Es werden 4350 Sportler erwartet. So viele wie nie zuvor. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehender in Deutschland werden ihre Übertragungen noch einmal auf rund 75 Stunden ausdehnen. Das zeigt: Die Wettkämpfe der Behinderten sind längst keine sportliche Randerscheinung mehr. Es wundert auch keinen Sport-Fan mehr, wenn Menschen, die nichts sehen, denen ein Bein fehlt oder die im Rollstuhl sitzen, sportliche Höchstleistungen erbringen. Doch die Normalität – so erstrebenswert sie auch ist – hat ein Handicap.

Die Verlockung ist groß

Bei den Paralympics geht es genauso um Gold, Silber und Bronze wie bei den Olympischen Spielen. Doch sobald Athleten um Erfolg, Prestige und Geld kämpfen, ist die Verlockung groß: Täuschen, tricksen und tarnen gehört zum Geschäft – bei Sportlern mit und ohne Handicap. Warum sollten Personen mit einer Behinderung auch bessere Menschen sein? Auch in dieser Hinsicht sind sie ganz normal.

Wen wundert es also, dass es bereits vor der offiziellen Eröffnungsfeier die ersten Dopingfälle gegeben hat. Der Australier Michael Gallagher wurde erwischt. Man muss kein Prophet sein, um zu prognostizieren, dass der zweimalige Bahnrad-Goldmedaillengewinner bei diesen Spielen nicht der Letzte bleiben wird, der überführt wird. Gallagher soll es übrigens mit Epo versucht haben. Das Blutdopingmittel ist nur einer von vielen Wegen, sich unerlaubt besser zu machen. Ein anderer ist das sogenannte Techno-Doping. Es stellt die Grundsätze des Sports infrage, wenn es Gold für die beste Prothese gibt und nicht für die beste Leistung eines Athleten. Doch auch das ist kein Problem, das allein die Para-Sportler trifft. Denn sobald Technik im Spiel ist, wird getüftelt. Das ist im Winter beim Rodeln so, im Sommer bei der Formel 1 und eben auch im paralympischen Sport.

Zumindest in einem Punkt ist die paralympische Bewegung noch erstaunlich unnormal. Im Gegensatz zum Internationalen Olympischen Komitee (IOC), das die Olympischen Spiele verantwortet, hat das IPC, das Internationale Paralympische Komitee, Russland die Stirn geboten, nachdem im Riesenreich flächendeckend und mit Hilfe des Staates gedopt wurde. Bei den Paralympics in Rio wird nun das komplette russische Team ausgeschlossen. Bei Olympia rangen sich die Herren der Ringe nicht zu diesem Schritt durch, auch weil der Gegenwind aus Russland wohl noch heftiger gewesen wäre.

Zurück in die Schublade ist keine Lösung.

Mit ihrer neuen und teils ungewollten Normalität müssen die Sportler, Verbände und Fans erst noch umgehen lernen. Denn den Behindertensport wieder in die Schublade zu stecken, hilft nicht dabei, die Herausforderungen zu meistern. Wie es funktionieren kann, zeigen die Para-Athleten jeden Tag. Sie verstecken ihre Probleme nicht, reden meist offen darüber und suchen nach Lösungen, mit ihrem Handicap umzugehen, wenn sie es schon nicht besiegen können. Unvollkommenheit ist eben ganz normal. In den Sportarenen, beim Spektakel drumherum und im „normalen“ Leben.

eva.hammel@stuttgarter-nachrichten.de