Ein halbes Jahr nach dem Großbrand ist kaum abzusehen, wann die Kathedrale wieder geöffnet werden kann.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Die Stimmung unter den Arbeitern ist miserabel. Mühsam haben sie sich aus ihren weißen Schutzanzügen geschält, schweigend zwängen sie sich nun an dem Absperrgitter vorbei, hinaus auf den Quais de l’Archevêché, hinter der Kathedrale Notre-Dame. Offen reden will keiner, nur so viel: „Wir kommen nicht voran.“ Auf Fragen nach den Problemen winken die Männer ab. Davon gebe es mehr als genügend, sagen sie und machen sich auf den Heimweg.

 

Ein Blick auf die Pariser Kathedrale ist Antwort genug. Die mächtigen Bögen an den Außenmauern werden notdürftig mit Holzbalken abgestützt. Die Fenster sind mit Plastikplanen verklebt, auf einem Teil des Daches liegt eine gigantische weiße Plane, und über allem thront eine abenteuerlich verbogene Konstruktion aus Stahl. Das ist das Baugerüst, das vor dem Brand für die Renovierung des 96 Meter hohen Vierungsturms angebracht worden war. Bei dem verheerenden Feuer in der Nacht vom 15. April ist der Turm eingestürzt, die Eisenrohre sind bei Temperaturen von mehr als 1000 Grad geschmolzen. Nun lasten sie, rund 500 Tonnen schwer und in sich verhakt, auf den Hauptmauern der Kathedrale. Das Gerüst zu demontieren wagt niemand, könnten doch auch die Mauern in sich zusammenfallen.

Welchen Folgen werden die Herbststürme haben?

Das sind nur die von außen sichtbaren Schäden. Gefährlich ist, dass die Mauern vom Löschwasser noch völlig durchnässt sind, sie zu trocknen kann Jahre dauern. Im Innern sollen immer wieder Steine herausbrechen. Und die nahenden Herbststürme und massiven Regenfälle könnten das labile Gewölbe der Kathedrale noch immer zum Einstürzen bringen.

Angesichts dessen redet keiner mehr von dem Architektenwettbewerb, der die Fantasie der Fachleute in der ganzen Welt beflügelt hatte. Ein gläsernes Dach wie beim Berliner Reichstag wurde vorgeschlagen, eine gigantische goldene Flamme sollte in den Himmel ragen. Doch die kühnen Entwürfe sind wieder in den Schubladen verschwunden. Denn die Experten sind damit beschäftigt zu retten, was zu retten ist. Von der Frist von fünf Jahren, die Präsident Emmanuel Macron in der Brandnacht für den Aufbau ausgab, redet ohnehin niemand mehr.

Philippe Villeneuve, zuständig für die Arbeiten an der Kathedrale, erklärte jüngst vorsichtig, dass man binnen fünf Jahren wahrscheinlich das Gewölbe und das Dach wiederherstellen könne, um die Kirche in Teilen wieder dem Publikum zugänglich zu machen – wenn keine unerwarteten Probleme einträfen. Ein solches war im Sommer die plötzlich gemessene hohe Bleibelastung. Bei dem Brand waren fast 500 Tonnen im Dach verbautes Blei geschmolzen. Verbände kritisierten, dass Wohnhäuser, Schulen und öffentliche Plätze verschmutzt seien. Es gab großflächige Absperrungen und unzählige Messungen. Die Arbeiten mussten für Wochen unterbrochen werden. Die Umgebung wurde bereits mehrfach gereinigt, doch über die tatsächliche Gefahr herrscht weiter Ungewissheit.

Die Glocke wurde wieder geläutet

Allein um die Finanzierung des Wiederaufbaus scheint sich niemand Sorgen zu machen. Ende September gaben die Großspender der Unternehmerfamilien Pinault und Arnault 380 Millionen Euro frei. Im Spätsommer waren laut Kulturministerium von den zunächst zugesagten Spenden von insgesamt 850 Millionen erst gut zehn Prozent eingegangen.

Kürzlich wurde erstmals wieder die Glocke des Pariser Wahrzeichens geläutet. Nach dem Tod des französischen Ex-Präsidenten Jacques Chirac erschallte sie, als ein riesiger Konvoi den Sarg zur Trauerfeier brachte. Als Abschied für den Toten und als Hoffnung für die Lebenden.