Gleich zwei grüne Parteien profitieren von der Klimadebatte. Die Rechtskonservative SVP bleibt zwar stärkste Partei. Sie verliert aber trotz der üblichen Angstkampagne Stimmen.

Korrospondenten: Jan Dirk Herbermann (jdh)

Bern. - Bei den Schweizer Parlamentswahlen am Sonntag haben die zwei grünen Parteien satte Zugewinne verzeichnet. Die Grünen der Schweiz, deren Positionen in etwa den deutschen Grünen entsprechen, können laut erster Ergebnisse ihren Anteil bei den Wahlen zur großen Parlamentskammer auf knapp 13 Prozent steigern. Bei den letzten Wahlen 2015 erzielten die Grünen noch rund sieben Prozent. Auch die Grünliberalen (GLP) verbreitern bei den jetzigen Wahlen deutlich ihre Basis auf 7,9 Prozent. Vor vier Jahren holte die GLP knapp fünf Prozent. Trotz vieler gleicher Forderungen verstehen sich die beiden grünen Kräfte als Konkurrenten.

 

Den Erfolgen der Umweltparteien standen gemäß ersten Ergebnissen Verluste der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei von mehr als drei Prozentpunkten gegenüber. Das Erstarken der Grünen und der Grünliberalen lässt sich zumal auf die eskalierende globale Umweltkrise zurückführen: Die Erderwärmung als brennendes Thema rückt auch in der Schweiz in den Vordergrund. Die Schweizer können die drastischen Folgen der steigenden Temperaturen mit eigenen Augen verfolgen: Gletscher schmelzen ab, die Schneegrenze rückt nach oben, und somit verändert sich das Gesicht der Berge dramatisch.

Wie viele Parlamentssitze an die beiden grünen Parteien fallen, war zunächst noch unklar. Das alle vier Jahre gewählte Parlament der Eidgenossen setzt sich aus der großen Kammer, dem Nationalrat und der kleinen Kammer, dem Ständerat, zusammen. Die 200 Nationalräte und die 46 Ständeräte werden im kommenden Dezember zu einem ihrer wichtigsten Termine zusammenkommen – sie werden dann eine neue Regierung wählen.

Grüne könnten Anspruch auf Sitz in der Regierung erheben

Falls die Grünen ihre starke Position tatsächlich behaupten können, werden sie einen Sitz in der siebenköpfigen Regierung, dem Bundesrat, reklamieren. Noch besteht die Regierung gemäß dem Prinzip der Konkordanz aus Repräsentanten der bislang vier größten Parteien: Der Schweizerischen Volkspartei, den Sozialdemokraten, der liberalen FDP und der Christlichdemokratischen Volkspartei. Laut Hochrechnungen verloren Sozialdemokraten und FDP jetzt Stimmen, die CVP legte leicht zu.

Die rechtskonservative SVP bleibt voraussichtlich mit rund 25,8 Prozent stärkste politische Kraft der Schweiz. Gegenüber ihrem Rekordergebnis von mehr als 29 Prozent bei den letzten Nationalratswahlen 2015 büßte die Volkspartei aber etwa 3,6 Prozent ein. Wie üblich hatte die SVP in ihrem Wahlkampf 2019 wieder auf die Angst gesetzt.

Im Mittelpunkt stand wieder einmal die Angst vor einem zu starken Einfluss der „zentralistischen“ Europäischen Union, die das Nichtmitglied Schweiz am Gängelband führen wolle. Die SVP schürte ebenso die Furcht vor einem wirtschaftlichen Abschwung: „Unternehmen und Länder ruinieren sich in guten Zeiten“, unkte der SVP-Übervater Christoph Blocher, der selbst ein Milliardenvermögen angehäuft hat. Und Blochers Tochter, Magdalena Martullo-Blocher, eine SVP-Nationalrätin und Firmenchefin, warnte nachdrücklich vor einer „Rezession“.

Angst vor Zuwanderern war für die SVP keine Zugnummer

Dazu kam wie bei früheren Wahlen das dramatisch gezeichnete Bild einer Masseneinwanderung. So malte die Zürcher SVP ein grelles Bild der Fremden in der Schweiz: „Staus auf den Straßen, herumlungernde, betrunkene und gewalttätige Asylsuchende und jugendliche Migranten sowie verbaute Grünflächen, steigende Gesundheits- und Sozialhilfekosten“. Doch konnte die SVP nicht so stark wie früher punkten. Ein Grund: Den meisten Schweizern geht es wirtschaftlich gut. Die Arbeitslosenquote liegt stabil bei etwas über zwei Prozent.

Die SVP-Schlappe lässt sich auch an Personen festmachen. Der inzwischen 79-jährige Christoph Blocher machte die Partei einst groß: Der Sohn eines Pfarrers begeisterte große Teile des Volks mit seinen hemdsärmeligen Auftritten, seinem derben Humor und seinem simplen Freund-Feind-Denken. Doch hat sich der erfolgreiche Populist weitgehend zurückgezogen – einen Nachfolger mit ähnlich demagogischen Qualitäten und folkloristischem Appeal hat die SVP noch nicht hervorgebracht.