Der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer warnt die SPD vor kollektiver Führung. Die Partei habe zudem noch ganz andere Probleme.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Fast alle Kandidaten, die sich bisher für den SPD-Vorsitz beworben haben, treten als Duo an. Erst am Mittwoch fand sich mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz und der Brandenburger Landtagsabgeordneten Klara Geywitz das vorerst letzte Bewerber-Paar. Viele Genossen wünschen sich eine Doppelspitze, für den Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer gehört kollektive Führung nicht zum Traditionsbestand der SPD.

 

Herr Niedermayer, warum gestaltet sich die Suche nach (einem) neuen SPD-Vorsitzenden so schwierig?

Es ist ja offensichtlich, dass es sich bis vor Kurzem wenige Leute in führender Funktion antun wollten, ihre Partei in dieser desolaten Lage zu übernehmen. Man fühlt sich immer noch als Volkspartei, ist es aber nicht mehr. Mit weniger als 15 Prozent ist dieser Anspruch irreal. Das ist dramatisch für eine Partei mit 150 Jahren Geschichte. Ein leichter Ausweg aus der Krise ist nicht in Sicht. In so einer Lage kann man wenig gewinnen, aber viel verlieren.

Die Kür ist sehr basisdemokratisch ausgerichtet. Was halten sie davon?

Es gibt da ein strategisches Problem. Man hatte einen Neuanfang versprochen. Das schließt prominente Köpfe, die schon lange dabei sind, eigentlich aus. So entsteht aber der Eindruck, die Parteiprominenz sei in dieser schwierigen Lage nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. Damit verschlimmert sich der krisenhafte Eindruck von der SPD noch. Auf die alte Garde völlig zu verzichten ist kaum zu vermitteln. Aber Schwergewichte verkörpern eben keinen Neuanfang.

Wie denken Sie über eine Doppelspitze?

Da hat man sich vom Erfolg der grünen Doppelspitze blenden lassen. Aber bei der SPD gehört kollektive Führung nicht zum Traditionsbestand. Und die Grünen werden sich unweigerlich davon verabschieden, wenn es gilt, einen Kanzlerkandidaten zu benennen. Das riecht nach Zeitgeist. Manche halten es vielleicht für en vogue, aber kulturell gewachsen ist das in der SPD nicht. Eine Doppelspitze ist nicht per se schlechter oder besser als eine solitäre Führung. Auch die Grünen haben die Erfahrung gemacht, dass eine Doppelspitze ganz schwer in die Hose gehen kann, wenn das Spitzenduo nicht harmoniert. Dieses Risiko kommt nun auch auf die SPD zu. Das kann ganz böse enden. Die bisherigen Erfahrungen sind eher so, dass man nicht davon ausgehen sollte, so etwas würde zu einem Selbstläufer.

Hat die SPD ein Personalproblem?

Mit ihrem Führungspersonal tut sich die SPD seit längerer Zeit schwer. Das konnte man an den Sturzgeburten bei der Kür der letzten drei Kanzlerkandidaten sehen. Dazu kommt eine inhaltliche Orientierungslosigkeit.

Was sind die Gründe?

Die Parteispitze und die Funktionärsebene denkt oft ganz anders als traditionelle Wähler – zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage. Da ist die SPD ziemlich weit weg von großen Teilen ihrer Anhänger. Zudem ist im Moment kein Gewinnerthema in Sicht, bei dem die SPD ein Alleinstellungsmerkmal reklamieren könnte. Und eine Politik der Beglückungen durch soziale Wohltaten zahlt sich für den Juniorpartner einer Koalition meist nicht aus. Auf diesem Feld zu punkten, wird zunehmend schwieriger. Alles, was da als soziale Gerechtigkeit verkauft wird, sehen andere wiederum als sozial ungerecht. Paradebeispiel ist die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung.