Der britische Songwriter Paul Armfield hat in der schwäbischen Hauptstadt zu sich selbst gefunden. Auch mit Hilfe des Stuttgarter Produzenten Max Braun.

Stuttgart - Wie eine entspannte, ruhige Empfehlung für den Lockdown wirkt sein Album, und doch entstand es lange bevor Briten und Deutsche zu Hause bleiben mussten, um dem Virus aus dem Weg zu gehen. Paul Armfield lebt auf der Isle of Wight, im Ärmelkanal gelegen; er wurde im Oktober 1967 in Birmingham geboren, und er war mehrmals schon zu Gast in Stuttgart. „Domestic“, sein jüngstes Album, erschien im September, wurde produziert von Max Braun, denkt selbstbewusst und leise darüber nach, was Heimat und Zuhause sein können.

 

Zehn Jahre sind vergangen, seitdem sich Paul Armfield und Max Braun zum ersten Mal begegneten, der Zufall führte die Regie. Armfield spielte ein Konzert im Café Galao, vor einem Publikum, das aus einer aufgedrehten Geburtstagsclique bestand. Herein zur Tür kam Max Braun, der nichts von einem Konzert ahnte, vom Künstler nichts wusste, aber die Gemeinsamkeit augenblicklich spürte. „Max ist ein außergewöhnlicher Produzent“, sagt Paul Armfield. „Er glaubt wie ich an die stille Kraft der Musik.“

Vorbilder von Jaques Brel bis zu Scott Walker

Über Jahre entwickelte sich eine musikalische Freundschaft zwischen dem Stuttgarter Produzenten und Theatermusiker und dem britischen Songwriter. Wenige Wochen nach ihrer ersten Begegnung schon gab Max Braun mit seiner Schwester Laura ein Konzert in der Union Chapel in London; Paul Armfield kam hinzu und begleitete auf dem Kontrabass. Viele gemeinsame Auftritte folgten, Armfield kehrte mehrmals ins Café Galao zurück, trat 2013 auf im Theater Rampe. Dann unterbreitete Max Braun ihm den Vorschlag, ein Album für ihn zu produzieren – und er sagte zu.

Max Brauns Einladung erreichte Paul Armfield zu einem besonderen Zeitpunkt. 20 Jahre lang hatte er auf der Isle of Wight eine Buchhandlung geführt. Als dieses Arbeitsverhältnis endete, übernahm er die Leitung eines Art Centers – ein Fulltime-Job, der ihm keine Zeit mehr ließ für seine Musik. 2015 war sein letztes Album erschienen: „Found“ ließ eine ganze Reihe großer Vorbilder aufscheinen, von Jacques Brel bis zu Scott Walker. Nun wollte Armfield sich wieder ganz der Musik zuwenden, kündigte seine Stellung – und fand in Stuttgart zu sich selbst.

Ein Leben in Isolation

Auf „Domestic“ schwebt seine Stimme gelassen und gefühlvoll im federnden Gewebe von Max Brauns Arrangements. „January“ heißt das erste Stück, vom neuen Jahr und neuen Vorsätzen ist darin die Rede, vom kalten Wind, vom schmelzenden Schnee. Dagegen setzt die Musik das Gefühl tiefer Geborgenheit, heimischer Wärme.

Zweimal flog Paul Armfield nach Stuttgart, um mit Max Braun an diesem Album zu arbeiten, im Herbst 2018, im Frühjahr 2019. Er hatte sich in eine Isolation zurückgezogen, um an seiner Musik zu arbeiten und nachzudenken. Auch Großbritannien erlebt schwierige Zeiten, nicht nur der Brexit ist Ursache dafür. „Domestic“ ist ein Album, das scheinbar unpolitisch vom Rückzug ins Private erzählt. „Aber sicher fühle ich mich als Europäer“, sagt Paul Armfield. Mit seinen Liedern möchte er die Rolle einer liberalen Elite infrage stellen, der er die Schuld am Rechtsruck der Gesellschaft zuschreibt.

Als nächstes kommt ein Cover-Album

„Found“ hatte Armfield mit zahlreichen Musikern zu Hause eingespielt und selbst produziert. In Stuttgart wurde er von nur wenigen Musikern begleitet – Giulio Cantore spielt verschiedene Gitarren, Max Braun zahlreiche Instrumente, Laura Braun singt bei zwei Titeln Background. Gabriel Schütz und Johann Polzer, Drummer der Stuttgarter Band BRTHR, sind an Schlagzeug und Percussion zu hören. Armfield begab sich dabei in die Hände von Max Braun – und ist begeistert von den Ergebnissen: „Je älter man wird, desto mehr möchte man sich von seinen Vorbildern lösen“, sagt er. „Max hat mir geholfen, mich selbst und meine Musik besser kennenzulernen. Ich habe ihm ganz vertraut.“

In England arbeitet Paul Armfield nun an seinem ersten Cover-Album. Ausschließlich Stücke aus dem Jahr 1980 sollen sich auf ihm finden, sparsam arrangiert für Kontrabass, Gitarre, Stimme, Drummachine, viele bekannte und einige weniger bekannte Titel. „1980 war ein wichtiges Jahr für mich“, sagt er. „Damals haben wir noch alle dieselbe Musik gehört, und damals begann ich, den Kontrabass zu spielen.“ Über das nächste Album, das er in Stuttgart aufnehmen möchte, hat Armfield bereits mit Max Braun gesprochen. Lange zuvor, noch in diesem November, hätte er eigentlich gerne seine Lieder in Stuttgart vorgestellt, dort wo sich er und Max Braun zum ersten Mal begegneten und diese Geschichte ihren Anfang nahm, im Café Galao.