Die Schutzranzen-App erhitzt immer noch mehr Gemüter: Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte äußert sich jetzt auch kritisch, die FDP im Landtag ärgert sich über das Kultusministerium – und der App-Entwickler verzweifelt.

Ludwigsburg - Es gibt Tage, an denen Walter Hildebrandt darüber nachdenkt, sein „Schutzranzen“-Projekt einfach abzublasen. Seit im Januar bekannt wurde, dass die Stadt zusammen mit dem Start-up Coodriver ein Pilotprojekt plant, bei dem Kinder mittels GPS-Senders vor Unfällen auf dem Schulweg bewahrt werden sollen, hagelte es massiven Widerstand gegen das Unterfangen. Die Bandbreite reichte von datenschutzrechtlicher Skepsis bis hin zu Anfeindungen wie die Stadt fördere Nazi-Technik. „Wir reden hier Dinge kaputt, ehe man überhaupt weiß, was sie bringen“, sagt Hildebrandt. Er wünscht sich, dass wieder ein sachlicher Ton in der Diskussion zu dem Projekt einkehrt.

 

Diskutiert wird in jedem Fall weiter über das Projekt – in der Stadt sowie jetzt auch beim Land. Bei einer Veranstaltung des Ortsverbands der Ludwigsburger Grünen äußerte sich der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kritisch über die App. Der Landtagsabgeordnete Jürgen Walter hatte ihn Anfang des Jahres eingeladen, als die Wogen um die umstrittene App besonders hoch schlugen. Mittlerweile ist mit der Streichung des Trackings – also der individuellen Ortbarkeit der Kinder durch die Eltern – ein wesentlicher Kritikpunkt weggefallen

Schaar: „Die komplette Kontrolle des individuellen Verhaltens“

Da aber immer noch per GPS-Sender Positionsdaten gesendet werden, bliebe der Gedanke hinter dem Programm laut Schaar der gleiche: „die komplette Kontrolle des individuellen Verhaltens“.

Noch absurder sei aus seiner Sicht eine weitere Modifikation: Der Sektor, in dem sich ein Kind befindet, wird einem Autofahrer erst angezeigt, wenn er schneller als 19 Kilometer pro Stunde fährt. Für ihn wirke das wie eine „Aufforderung zum Schnellerfahren“. Schaar hielt eine besondere Kennzeichnung von Schulen in Navigationsgeräten für sinnvoller. „Eine Individual-Kennzeichnung von Kindern ist absurd“, sagte Schaar. Deutliche Kritik kam von Michael Vierling, dem Fraktionschef der Grünen im Ludwigsburger Gemeinderat: Der Oberbürgermeister Werner Spec sei von der „Digitalisierungs-Tarantel gestochen“ und erwecke den Eindruck, dass sich „politische Probleme über Digitalisierung lösen lassen“.

Das Kultusministerium fühlt sich nicht zuständig

Unterdessen hat sich auch die FDP-Fraktion im Landtag des Themas angenommen: Mittels einer Kleinen Anfrage bat sie das Kultusministerium Baden-Württembergs um eine Einschätzung der App. Die Antwort der Behörde fällt ausweichend aus: Da es ein Projekt der Stadt und nicht der Schulen ist, sei man auch nicht verantwortlich im Sinne der Datenschutzgrundverordnung. Deswegen habe man datenschutzrechtliche Fragestellungen auch nicht geprüft.

„Liebloser hätte die Antwort auf unsere Kleine Anfrage zur ‚Schutzranzen-App‘ kaum ausfallen können, eine echte Enttäuschung!“, sagt der FDP-Abgeordnete Klaus Hoher, der im Ausschuss für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz den stellvertretenden Vorsitz innehat. „Wir fordern die Landesregierung auf, das Versäumte nachzuholen und sich intensiv mit dem Modellversuch in Ludwigsburg auseinanderzusetzen. Mit Verweigerungshaltung ist die Digitalisierung jedenfalls nicht zu meistern.“

Der Entwickler kann die Aufregung um seine App nicht verstehen

Das Ministerium lässt in seiner Antwort allerdings durchblicken, dass man keine Notwendigkeit für die App sieht: Man stehe einer Förderung der Smartphone-Nutzung im Grundschulalter „kritisch“ gegenüber. Schulwegsicherheit müsse vor allem durch ein Schulwegtraining der Kinder hergestellt werden. Das Verlassen auf ein technisches Gerät, statt auf die eigenen Sinne könne „unter Umständen zu einem unvorsichtigeren Verhalten im Straßenverkehr“ führen. Und grundsätzlich sehe man keine Erforderlichkeit für eine dauerhafte Überwachung von Kindern.

Walter Hildebrandt kann die mediale Aufregung um seine App nicht verstehen: „Wir nehmen keine persönlichen Daten auf und geben sie auch nicht weiter“, sagt er. Die Position werde anonym weitergeleitet, die IP-Adresse nicht erfasst. Auch werden Autofahrern nicht die konkreten Positionen der Kinder angezeigt, sondern lediglich „Sektoren“, in denen sich mindestens ein Kind aufhält. Eine wirkliche Lokalisierungsfunktion gebe es zwar auch, die müsse aber vom Kind selbst aktiviert werden. Dies sei nur für Notfälle gedacht.

Wie es mit dem Projekt weitergeht, ist derzeit unklar. Ursprünglich war der Teststart für diesen Herbst geplant. Derzeit prüft die Landesdatenschutzbehörde Niedersachsens die App – die ist zuständig, weil das Unternehmen in Wolfsburg sitzt. Ein Anruf in Hannover ergibt: Man arbeitet mit Hochdruck an der Bewertung. Ende Juli soll sie da sein.