Pete Townshend, Gitarrist der Band The Who, ist gerade 70 geworden. Im Interview erzählt er, warum „Quadrophenia“ bis heute die Zuhörer fasziniert und was klassische Musik für ihn bedeutet.

Stuttgart - Früher rammte Pete Townshend seine Gitarren in Verstärker oder zerschmetterte sie auf der Bühne. Inzwischen ist der musikalische Kopf der legendären britischen Band The Who 70 Jahre alt und ruhiger geworden. Er hat eine sinfonische Fassung seiner Rockoper „Quadrophenia“ erarbeitet, die Ende diese Woche unter dem Titel „Classic Quadrophenia“ in den Handel kommt. Das Royal Philharmonic Orchestra, der bekannte britische Tenor Alfie Boe und ein großer Chor interpretieren auf dieser CD die Story des jungen Jimmy neu. „Quadrophenie“ handelt von der Suche nach Identität und die Sehnsucht nach Orientierung und Halt. Pete Townshend selbst ist grau geworden, hat aber noch immer diesen intensiven Blick. Er schaut aus wie ein alter Seebär, der jeden Hafen dieser Welt gesehen hat.
„Quadrophenia“ und der gleichnamige Film haben eine ganze Generation geprägt. Was war es für ein Gefühl, sich jetzt wieder mit diesem Werk zu beschäftigen?
„Quadrophenia“ ist mein Lieblingsalbum von The Who und eine Rockoper, die eine zusammenhängende Geschichte erzählt. Deshalb kehre ich immer wieder gern zu ihr zurück. Ich bin sehr stolz darauf, was ich mit ihr erreicht habe. Sie hatte eine doppelte Funktion, nämlich die eines neuen The-Who-Albums und die der Wiedervereinigung von uns mit einigen unserer Fans aus der Anfangszeit, als The Who noch durch kleine Clubs tingelten. Viele von unseren frühen Fans waren natürlich Mods. Ich glaube, „Quadrophenia“ hat bei uns für eine Spielverlängerung gesorgt.
Haben Sie bei der orchestralen Neufassung versucht, einen neuen Zugang zu Ihrem Opus magnum zu finden?
Ich wollte unbedingt die Atmosphäre der Originalfassung erhalten, die Klangmalerei, gleichzeitig wollte ich, dass das Orchester diese Stimmung zelebriert und weiterentwickelt. Diese Balance zu finden, stellte sich als schwierige Aufgabe heraus.
Das Original ist ein komplexes Werk. Ist es geschaffen dafür, von einem Sinfonieorchester gespielt zu werden?
Auf gewisse Weise ja. Die Musik von The Who sowie von einigen meiner Soloplatten bietet sich einfach an für eine orchestrale Aufführung. Wahrscheinlich würde jede Musik wundervoll klingen, wenn ein gutes Orchester sie spielen würde. Aber es gibt verschiedene Gründe, weshalb die Musik von The Who sich ganz besonders dafür eignet. Keith Moons Schlagzeug-Stil war fast orchestral, es ging dabei mehr um Verzierungen, Schnörkel und Klangzauber, als darum, bloß den Beat zu halten. Who-Bassist John Entwistle war ein klassisch ausgebildeter Trompeter und Jagdhornist. Insbesondere auf „Quadrophenia“ ersetzt er im Alleingang eine komplette Bläsergruppe. Zudem schrieb er seine Arrangements selbst. Als The Who 1973 anfingen, dieses Album aufzunehmen, war Roger Daltreys Stimme wahrscheinlich auf ihrem Höhepunkt und er ging in die Vollen, um die Worte lebendig klingen zu lassen. Ich selbst war bewandert im Umgang mit analogen Synthesizern, speziell um damit ein Orchester nachzuahmen. Ich hatte dieses Instrument bereits bei „Who’s Next“ extensiv eingesetzt.
Wie war es für Sie, die orchestralen Arrangements für „Quadrophenia“ zu beaufsichtigen?
Das fiel mir sehr leicht. Meine Partnerin Rachel Fuller hatte ein Studio eingerichtet unter Mithilfe unseres Freundes Hans Zimmer (der Filmkomponist, die Red.) und darin Demos aufgenommen für jeden Song, den sie neu arrangierte. Ich konnte alles kommentieren und Änderungen vorschlagen, wenn ich es für nötig hielt. Rachel achtete darauf, sich nicht zu sehr von der Ausführungsart des Originals zu entfernen, und dennoch haben sie und ihr Mitstreiter Martin Batchelar für wundervolle kreative Momente gesorgt.
War es Ihr Ziel, Rocksound und orchestrale Klänge zu verschmelzen?
Über weite Strecken haben wir auf einen Rockdrummer verzichtet und stattdessen mit sechs Perkussionisten gearbeitet, was diese Aufnahme sehr speziell macht. Es klingt oftmals schwerfällig, wenn ein Rockdrummer mit einem Orchester spielt. Ich wollte auch nicht so viel Gitarre auf der Platte haben. Ich selbst spiele akustische Gitarre auf „I’m The One“ und „Drowned“, aber es hätte auch ohne funktioniert. Eine E-Gitarre wollte ich nicht dabei haben, weil sie nicht zu den Bläsern gepasst hätte.
Warum ist denn The-Who-Sänger Roger Daltrey nicht dabei?
Erstens, weil dies mein Projekt ist und keines von The Who. Zweitens hatte ich das Gefühl, dass dies eine wunderbare Gelegenheit für mich wäre, einmal mit ein paar neuen Stimmen zu arbeiten, insbesondere was den Helden Jimmy betrifft. Roger entwickelt The-Who-Material manchmal sehr einseitig, aber das ist völlig in Ordnung. Zum Beispiel hat er eine Solo-Tournee mit „Tommy“ gemacht. Roger ist ein Freund von Alfie Boe, und beide sind sich einig, dass die Rock-Oper „Quadrophenia“ eine ziemliche Herausforderung für einen Sänger darstellt.
Braucht klassische Musik den Rock’n’Roll, um sich neu zu erfinden?
Nein, natürlich nicht. Aber ein großer Teil der ernsten orchestralen Musik ist sehr avanciert und nicht immer leicht zugänglich. Ganz anders und viel zugänglicher ist die orchestrale Filmmusik. Ich glaube, auch Rockmusikliebhaber können einem Projekt wie „Classic Quadrophenia“ etwas abgewinnen. Vielleicht entdecken sie darüber ja sogar die Oper für sich.
Ist Klassik für Sie persönlich eine unverfälschte und kunstreichere Alternative zu Rockmusik?
Nein. Aber sie ist eine Blaupause, an der sich jeder Komponist orientieren muss. Natürlich hat auch Rockmusik ihre Vorbilder, aber sie wird von Künstlern angetrieben, Persönlichkeiten, Fan-Kultur, Festivals und Bombast. Orchestrale Musik hingegen funktioniert in einem traditionellen System, das vor Hunderten von Jahren begründet wurde und Stück für Stück gewachsen ist.
Warum geht von „Quadrophenia“ auch heute noch so eine große Faszination aus?
Ich glaube, das liegt vor allem an der Story, die für jeden nachvollziehbar ist. Sie erzählt ein paar Tage aus dem Leben eines jungen Mannes. Das kennen wir alle. Ungewöhnlich an der Geschichte ist jedoch, dass sich hier Leidenschaft, sexuelle Frustration, Angst und hilflose Liebe steigern und am Ende explodieren. Zurück bleibt eine spirituelle Frage, auf die es keine offensichtliche Antwort gibt. Meine Musik scheint diese jugendlichen Gefühle authentisch ausdrücken zu können, und The Who waren und sind gut darin, sie live umzusetzen. Das Publikum liebt es offensichtlich, an diesen Abschnitt seiner Jugend anzudocken. Vielleicht blicken die Leute ja auch etwas traurig oder zärtlich zurück auf ihr eigenes Leben und wie sie das alles überstanden haben.
Sie sind gerade 70 geworden. Rebellieren Sie noch gegen etwas oder jemanden?
Nein. Mir ist aber immer noch daran gelegen, ein Spiegel meines Publikums zu sein und ihm etwas darzubieten, mit dem es etwas anzufangen weiß. Ich glaube nicht, dass ich jemals ein großer Rebell war. Mir wurde sogar oft vorgeworfen, viel zu passiv zu sein.