Das Web wird gern als grandiose Modernisierung der Kommunikation angesehen. Wenn man genauer hinsieht, entdeckt man aber nach wie vor das Kindertelefon aus zwei Blechdosen, die mit einer Schnur verbunden sind.

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

Es gibt die Vorstellung, dass ein wichtiger Teil des Fortschritts darin besteht, die technische Kultur der Menschheit vom Mechanischen zum Organischen hin zu entwickelt.

Die zurückliegenden vier Jahrtausende Technikgeschichte waren dem Versuch gewidmet, aus Menschen Steine zu machen - Kristalle, wie man es am besten an militärischen Menschenformationen und den zugehörigen „Schleifern” erkennen kann. Zuvor war die Technik der Steinbearbeitung über eine sehr lange, Steinzeit genannte Periode zu jener Perfektion geführt worden, die in gewaltigen frühzeitlichen Bauwerken wie den Pyramiden gipfelte.

Um die Dauerhaftigkeit von Stein mit der Dynamik lebender Menschen verbinden zu können, bedurfte es aber erst einer vollkommen neuen Idee: der Maschine.

Das „Elektronengehirn” - ein fundamentaler Wandel

Die erste Maschine bestand aus Menschen. Sie produzierte innerhalb von knapp 200 Jahren in Ägypten etwa 80 Pyramiden. Nach und nach wurden in den nachfolgenden Jahrtausenden die unzuverlässigen menschlichen Teile der Maschine durch mechanische ersetzt, bis hin zu den mikromechanischen Meisterwerken der Uhrmacher. Mit der Digitalisierung wurden die beweglichen Teile von elektrischen Ladungen abgelöst. Begriffe wie „Elektronengehirn” und neue Erkenntnisse über das elektrische Britzeln an Synapsen und Nervenenden verhießen einen fundamentalen Wandel der Technik.

Jetzt haben wir das Hypertextgewebe des Web - eine Struktur, die manche als eine versuchsweise Ausweitung des menschlichen Gehirns über den ganzen Planeten ansehen. Etwa zur selben Zeit wie die Pyramiden war die Schrift entstanden, die sich gleichfalls über 4000 Jahre zu einer großartigen Gewohnheit gefestigt hat: der Linearität. Die vielen Geisteswelten, die man niederschreiben kann, lassen sich alle an einem Zeilenfaden abwickeln. Diesen Faden entlang wird Wissen vermittelt, werden Geschichten erzählt, vollzieht die Logik ihre Schritte.

Das Wasserblau der Hyperlinks

Nun ist mit dem Web eine Art geistiges Bewässerungssystem im Begriff, dem Faden den Rang abzulaufen. Wie in Kanälen, die Wasser über Felder verteilen, geht das Geschriebene und alles sonst noch Strömende in verschiedene Richtungen. Es verzweigt sich und bildet vernetzte Strukturen. Dass Hyperlinks in einem Text meist blau gefärbt sind, unterstreicht das Bild. Sie sehen aus wie feuchte Stellen, an denen althergebrachte Texte nun durchlässig werden und sozusagen in die verschiedensten Nachbarschaften hinaus durchsuppen.

Die Entwicklung der Links allerdings - immerhin das zentrale Prinzip der Verbindung und Vernetzung im Online-Universum -, ist auf dem Stand eines Rohrpostsystems stehengeblieben. Wenn ich einen Link anklicke, wird nach wie vor nichts als ein stumpfer, mechanischer Vorgang ausgelöst, der von A nach B führt. Weshalb baut niemand zumindest ein kleines bißchen organischere Verbindungen? Links zum Beispiel, die vormittags woanders hinführen als nachmittags oder in der Nacht. Oder Links, die sich mit den Jahreszeiten verändern. Oder welche, die wie Laub die Farbe wechseln und anzeigen, wie alt sie sind. Warum macht das keiner? Wo bleibt der Fortschritt?

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Und hier noch wie immer der Tweet der Woche: