Der StZ-Kolumnist Peter Glaser berichtet heute über neue Essensgebräuche im globalen Dorf und die Vermischung von Trend und Tradition.

Stuttgart - Eric Maddox würde gern die Abendnachrichten durch abendliche Gespräche ersetzen. Früher haben die Menschen sich abends zusammengesetzt und über die Dinge des Tages geredet und sich auf den neuesten Stand gebracht. Heute ist das fast schon eine nostalgische Erinnerung. Eltern und Kinder sitzen am Tisch, und jeder befasst sich mit seinem Smartphone. Aber etwas, das durch Technik fast verschwunden ist, kann man mithilfe von Technik auch wiederbeleben.

 

Maddox betreibt das Virtual Dinner Guest Project, bei dem sich bei einem gemeinsamen Abendessen via Webcam etwa Armenier und Türken, Palästinenser und Indianer oder Menschen aus Gaza und Rotterdam näherkommen. Während seines Studiums war er im Westjordanland, hat Bewohner zum Palästinakrieg von 1948 befragt und drehte einen Dokumentarfilm. Woraufhin er eine Förderung für ein weiteres Projekt bekam, diesmal an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. In beiden Fällen ging es um Grenzen, und ihm ging auf, dass die Leute eigentlich direkt miteinander sprechen sollten. Dafür suchte er einen neutralen Platz und kam auf den Esstisch, den wohl ältesten, universellen sozialen Ort.

Kombination aus Technologie und Tradition

Der Arabische Frühling lockte Maddox, 39, im Jahr 2011 aus Kalifornien nach Beirut. Dort bereitete er die ersten virtuellen Abendessen im Libanon und in Ägypten vor. Was mit einem One-Way-Flugticket und einem Budget für zwei Monate begonnen hatte, hat sich in eine inzwischen sechsjährige Odyssee durch Nordafrika, den Mittleren Osten, Südostasien und Europa entwickelt. Das Projekt ist eine Kombination aus Technologie und Tradition – einerseits aus dem menschlichen Bedürfnis, sich bei einem gemeinsamen Mahl über alles Mögliche zu unterhalten, andererseits aus der Technik für internationale Videokonferenzen und kollaborative Filmproduktion. Menschen reden über Politik, Kultur und Religion, während sie zusammen zu Abend essen – übers Internet. Motto: Breaking Bread, Breaking Barriers.

Meist wird eigens gekocht, manchmal gibt es aber auch logistische Probleme, die das Kochen erschweren. In Kairo sind sie mal einfach raus auf die Straße und haben Pizza besorgt. An einem solchen virtuellen Dinner nehmen fünf bis sieben Gäste auf jeder Seite teil. So gibt es Meinungsvielfalt und zugleich eine vertrauliche Atmosphäre, in der die Menschen einander als Menschen sehen, auch wenn eine Konfliktgrenze zwischen ihnen verläuft, bei Indern und Pakistanis etwa. Gemeinsames Essen macht zivilisiert. In den Tagen danach sollen die Teilnehmer dann kleine Filme anfertigen, mit Leuten aus der eigenen Nachbarschaft, die sie sonst vielleicht gar nicht ansprechen würden.

Viele globale Konflikte werden von alten Männern mit alten Ideen repräsentiert. Das Virtual Dinner Guest Project soll deshalb vor allem auch für die Jugend eine neue Möglichkeit sein, um anderen Einblicke in ihre Kultur und ihre Gedankenwelt geben zu können. Ob schon mal etwas schiefgegangen ist? „Manchmal“, sagt Maddox, „fühlt es sich an, als ob alles nur durch viel Glück, Klebeband und Koffein zusammengehalten wird.“ In Wirklichkeit sind es der gute Wille und die Geduld der Teilnehmer. Von bisher etwa 50 Abendessen gab es nur eines, das wirklich schwierig war, weil es keine stabile Internetverbindung gab. „Wir haben das Ganze schon an den unmöglichsten Orten zum Laufen gebracht. In einem syrischen Flüchtlingslager. In Gaza. Im Libanon.“