Der digitale Wandel bringt ganze Berufsfelder in Bedrängnis. Und er schafft neue Jobs, die man sich mit etwas Geschick auch selbst erfinden kann.

Stuttgart - Hier geht es in Zukunft um die Zukunft. Das StZ-Hausorakel Peter Glaser befragt einmal die Woche die Kristallkugel nach dem, was morgen oder übermorgen sein wird – und manchmal auch nach der Zukunft von gestern. Dazu als Bonus: der Tweet der Woche!

 

Nach der industriellen entfaltet sich nun die digitale Revolution. Dass technische Neuerungen Arbeitsabläufe erleichtern und rationalisieren, dadurch alte Jobs zum Verschwinden bringen und zugleich neue Tätigkeiten schaffen, ist ein hinlänglich bekanntes Phänomen. Neu ist, mit welcher Geschwindingkeit sich dieser Wandel vollzieht und wie komplex inzwischen Tätigkeiten sein können, die in Zukunft mutmaßlich Computer übernehmen werden.

Studien zufolge sind in Europa bis zu 65 Prozent aller heutigen Jobs automatisierbar. Intelligente Software, Roboter und digitale Assistenten können einfache Aufgaben zunehmend besser und schneller ausführen. Die Entwicklung wird angetrieben durch das Innovationstempo und den Preisverfall im Technologiebereich. Der digitale Wandel verändert auch die Anforderungen an die Arbeitnehmer. „Die Hälfte der Berufe, die es im Jahr 2030 geben wird, ist heute noch gar nicht erfunden“, prognostiziert der Schweizer Zukunftsforscher Gerd Leonhard.

Der gute, alte Info-Broker

Ob einem allerdings zur Sicherung und Verwaltung persönlicher Informationen im Netz künftig ein Privatsphäre-Manager assistieren wird, ist noch nicht ausgemacht. Anfang der Neunzigerjahre wurde dem vielzitierten neuen Beruf des Info-Brokers, der aus schwer zugänglichen und nur über spezielle Abfragesprachen zu bedienenden Datenbanken seinen Kunden maßgeschneiderte Infomations-Dossiers zusammenstellt, eine große Zukunft vorhergesagt. Dann kam Google. Heute ist jeder sein eigener Info-Broker, der Begriff ist obsolet geworden.

Zu den Bereichen, für die es schwierig wird, gehören Transportwesen und Logistik. Die Entwicklung unbemannter Transportmittel wie Flugdrohnen oder autonomer Fahrzeuge, die von Google und verschiedenen Autoherstellern bereits im Testbetrieb eingesetzt werden, erlebt einen bemerkenswerden Aufschwung. Gleichfalls im Anmarsch sind Logistikzentren, in denen die letzten menschlichen Mitarbeiter die Wartungstechniker für die Roboter sind. Angestellte im Einzelhandel erleben die algorithmische Konkurrenz in Form von von Informationsplattformen im Netz, die Verkaufsberatung mit Erfahrungsberichten verbinden, oder von Kassen zum Selberscannen, die nur noch von einer Kontroll- und Auskunftsperson überwacht werden.

Smarte Software sägt inzwischen auch an Bürostühlen

Aber auch bei Bürojobs, die lange als rechnerresistent galten, beginnt smarte Software inzwischen an den Stühlen zu sägen. Im Juli verkaufte die US-Firma Automated Insights Textroboter an die Nachrichtenagentur Associated Press, die in der Lage sind, auf Basis der Quartalsberichte von Unternehmen Business-Artikel zu verfassen. In der Los Angeles Times erschien ebenfalls bereits ein Artikel, der von einem Computer erstellt wurde. Die Software sammelt Daten und Details, baut sie nach einem Baukastenschema ein und bündelt sie zu einem Artikel. So kam ein Beitrag über ein Erdbeben in Kalifornien mit allen wichtigen Eckdaten zustande. Aber auch Rezeptionisten, Notargehilfen oder Kreditsachbearbeitern wird es zu schaffen machen, dass Algorithmen komplexe Sachverhalte zunehmend besser handzuhaben vermögen.

Die neuen Berufe werden erst einmal den alten erstaunlich ähneln, da es an Systemadministratoren, Netzwerktechnikern, Programmierern und Hardwarespezialisten weiteren Bedarf gibt. Aber auch die Angestellten im Auge des digitalen Orkans sollten sich ihrer Sache nicht allzu sicher sein. So hat zum Beispiel die NSA, aufgeschreckt durch den Fall Snowden, die Unzuverlässigkeit der menschlichen Teile ihrer Auswertungsmaschinerie ins Auge gefaßt und plant, Administratoren insgesamt überflüssig zu machen.

Aus den Schwächen neuer Technik entstehen neue Jobs

Einige neue Jobs entstehen traditionell aus den Schwächen und Mängeln neuer technischer Möglichkeiten. In den Achtzigerjahren, in denen Computerlüfter noch laut wie Klimaanlagen waren und Festplatten den Geräuschpegel von Mopeds erreichten, hat sich mancher Student ein gutes Zubrot damit verdient, die Hardware mit Moosgummi und Geschick auf erträgliche Lautstärke zu dämpfen. Solche Tätigkeiten pflegen aber bald von der technischen Entwicklung überholt zu werden.

Heutzutage wünscht sich mancher eher sowas wie einen Informations-Diätberater, der einem beibringt, wie man digital Gewicht halten kann („Schon wieder 100 Megayte abgenommen“) oder einem auf therapeutischem Weg die Angst nimmt, etwas zu versäumen – die „Fear Of Missing Out“ (FOMO). Vereinzelt bereits im Einsatz sind virtuelle Museumsfüher, sie werden im Zeitalter der freien Verfügbarkeit von Drohnen flankiert werden von digitalen Reiseleitern. Reisen ist spannend, kostet aber Zeit, Geld und Nerven. Nicht alle Reisewilligen sind zu dieser Investition bereit, sie werden sich künftig auf das verlegen, was der Angloamerikaner anschaulich als Armchair Travelling bezeichnet - Reisen vom Sofa aus. Google World View, sozusagen.

Und natürlich wird es den Drohnenpiloten geben, der die verlorengegangene Katze sucht. Und den Problemdesigner. Er hilft angesichts der immensen Leistungsfähigkeit der vorhandenen Maschinen – die Urknallsimulationen durchführen und gleich wieder fragen, was sie als nächstes tun sollen –, echte, computergerecht formulierbare Probleme zu finden.

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Und hier noch wie immer der Tweet der Woche: