Petra Schmidt-Schaller spielt am Sonntag letztmals die Hamburger Tatort-Kommissarin Katharina Lorenz. „Verbrannt“ greift ein aktuelles Thema auf: das Flüchtlingsdrama. Ein StZ-Interview mit der außergewöhnlichen Schauspielerin.

Stuttgart – Ihr letzter Auftritt als Hamburger „Tatort“-Kommissarin ist ihr spektakulärster: Petra Schmidt-Schaller ermittelt in „Verbrannt“ (Sonntag, 20.15, ARD) im Fall eines afrikanischen Asylbewerbers, der bei einem Brand in seiner Zelle starb. Zum Thema Flüchtlinge hat die Berlinerin einen ganz eigenen Bezug. Ein Gespräch über Rassismus, Ratten am Oranienplatz und ihre Kindheit in der DDR.

 
Frau Schmidt-Schaller, ein Afrikaner wird verbrannt in seiner Zelle gefunden, und alles spricht dafür, dass er sich nicht selber angezündet haben kann. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie bei den Dreharbeiten zum „Tatort“ den verbrannten Dummy sahen?
Der Anblick war heftig. Bei mir zog sich alles zusammen. Ich wusste zwar, es ist nur ein Dummy, ein verkohltes Stück Plastik. Aber in dem Moment war der Gedanke unausweichlich, dass dieser Tatort auf einer wahren Geschichte beruht. Und damit war der Dummy mehr als Stück Plastik.
Sie spielen auf den Fall des Afrikaners Oury Jalloh an, der 2005 bei einem Brand in einer Gefängniszelle in Dessau ums Leben kam. Vereinfacht es das Spiel, wenn die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit derart verschwimmt?
Einerseits macht es die Arbeit intensiver. Andererseits war die Nähe zu diesem Fall so dicht, dass der Regisseur gesagt hat: Lasst es uns lieber als fiktiven Fall betrachten. Sonst besteht die Gefahr, dass wir uns aus falsch verstandener Pietät zurücknehmen.
Der Regisseur musste bei den Dreharbeiten die Notbremse ziehen, weil die Fiktion von der Realität eingeholt wurde?
Genau. Wenn man das Drehbuch liest, denkt man: Das ist konstruiert. Doch dann erfährt man die wahre Geschichte und erkennt: Wahnsinn, das hat alles genau so stattgefunden.
Der Mord an einem Flüchtling als Initiationsritual unter Polizisten. Gibt es einen institutionell verankerten Rassismus bei der deutschen Polizei ?
Ich kenne solche Geschichten nur von Dritten. Dass Flüchtlingen irgendetwas passiert sei und die Polizei daneben gestanden und nichts unternommen habe. Ich denke, Rassismus macht vor keiner Tür Halt. Man muss wie immer genau hingucken.
Sind Sie selber noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten?
Nee, ich habe aber eine sehr enge Beziehung zum Polizeipräsidenten. Mit meinen Blitzer-Fotos kann man bald eine kleine Galerie aufmachen. (lacht)
Dieser Tatort wirft ja auch die grundsätzliche Frage auf: Wo fängt Rassismus eigentlich an?
Wenn man nicht die Möglichkeit wahrnimmt, sich zu erkundigen, woher die Flüchtlinge kommen und unter welchen Bedingungen sie hier leben. Wenn man einfach nur seine Vorurteile darüber stülpt und es dabei belässt.
Gehen Sie denn selber auf Flüchtlinge zu?
Ich lebe in Kreuzberg, ich habe das Drama auf dem Oranienplatz anderthalb Jahre lang direkt miterlebt. Ich weiß, wie beschissen es den meisten Flüchtlingen geht. Kinder, die traumatisiert wurden. Frauen, die vergewaltigt wurden. Familien, die auseinandergerissen wurden. Solche Geschichten muss man sich vor Augen führen, bevor man anfängt, Heime abzubrennen.
Die meisten Anwohner vom Oranienplatz waren eher erleichtert, dass das Camp nach anderthalb Jahren wieder verschwand.
Es gab in der Tat eine Rattenplage und ein großes Müllproblem. Diese Probleme wären lösbar gewesen, wenn man miteinander in Kontakt geblieben wäre. Das war aber schwierig. Flüchtlinge kamen und gingen. Letztlich haben sich da drei Generationen abgewechselt. Am Ende ist die Situation gekippt. Den Bewohnern hat es gereicht. Überall lagen tote Ratten herum. Es war ein bisschen wie bei einer Pest.
Sie sind selber Mutter einer vierjährigen Tochter. Kriegt man da nicht die Krise, wenn man morgens über tote Ratten steigt?
Ach, ich bin ja mit Ratten auf Berliner Hinterhöfen großgeworden. Ich glaube, auf jeden Berliner kommen, statistisch gesehen, sechs Ratten. (lacht) Ich habe meiner Tochter geklärt: So sehen die eben aus. Du darfst die aber nicht anfassen.
Am Ende waren für diese unzumutbaren Zustände ja auch nicht die Flüchtlinge verantwortlich, sondern die Politik. Hat Sie das nicht wütend gemacht?
Nein, wütend bin ich nur auf Menschen, die Heime anzünden. Das ist echt ein Problem. Umso mehr freue mich über die Welle der Hilfsbereitschaft, die den Flüchtlingen jetzt von allen Seiten entgegen schwappt. Auch unsere Hausgemeinschaft will sich jetzt um eine Flüchtlingsfamilie kümmern.
Der „Tatort: Verbrannt“ spielt in einer norddeutschen Kleinstadt. Der Drehbuchautor Stefan Kolditz hat diesen Fall auch deshalb nach Niedersachsen verlegt, um nicht das Klischee zu nähren, rechte Gewalt sei ein ostdeutsches Problem. Sie sind ein Kind der DDR. Warum fallen rassistische Ressentiments im Osten auf besonders fruchtbaren Boden?
Schwere Frage. Ich glaube, das ist eine Frage der Bildung. Als die Mauer fiel, haben sich ja nicht gleich unsere Lehrer geändert. Russischlehrer haben plötzlich Englisch unterrichtet, es war hanebüchen. In der Schule ist die Mauer erst 1997 gefallen. Da kamen jüngere Lehrer aus dem Westen, wir saßen plötzlich in U-Form, und Schule wurde plötzlich interessant. Dieses alte Denken kriegt man ja nicht so schnell aus den Köpfen heraus.
Sie meinen die Sichtweise der DDR-Regierung, dass der Faschismus ein rein westdeutsches Problem gewesen sei?
Zum Beispiel. Das Thema ist aber noch viel komplexer. Was uns in der DDR auch gefehlt hatte, war die 68er-Bewegung, die gegen die Nazis aufbegehrt hat. Im Osten gab es nur die Stasi und die Angst vor ihr.
Aber reicht das schon als Erklärung dafür, dass Menschen in Deutschland Flüchtlingsheime anzünden?
Ich weiß es nicht. Sicherlich haben einige auch Angst, dass Flüchtlinge jene Jobs oder jene Unterstützung bekommen, die sie selber bräuchten.
„Verbrannt“ ist nach nur zwei Jahren jetzt Ihr letzter „Tatort“. Hat der NDR diesen heiklen Fall bewusst mit Ihrem Ausstieg verknüpft, weil er zeigt, dass auch Ermittler ihr unerschütterliches Vertrauen in den Rechtsstaat verlieren können?
Nö, das war wohl ein Zufall. Aber ein guter.
Sie haben nur sechs Folgen mit Ihrem Kollegen Falke, gespielt von Wotan Wilke Möhring, gedreht. Warum steigen Sie beim „Tatort“ jetzt schon wieder aus?
Für mich war die Reise mit der Rolle zu Ende. Ich habe gemerkt, dass ich mich auf diese Figur nicht mehr gefreut habe. Ich wurde unruhig.
Ihr Vater Andreas Schmidt-Schaller steht schon seit fünfzehn Jahren als Kommissar in der ZDF-Serie „Soko Leipzig“ vor der Kamera. Haben Sie ihn vorher um Rat gefragt?
Nee, mein Entschluss war so stark, dass ich mich da mit niemandem beraten musste.
Wohin geht Ihre Reise jetzt?
Ach, demnächst kommen eine ganze Reihe von Filmen heraus. Einen habe ich mit Wotan Wilke Möhring gedreht: „Zusammen ist ein schöner Ort.“ Darin spielen wir ein Liebespaar. Da geht es plötzlich um ganz alltägliche Baustellen.