Als gebrechlich und pflegebedürftig würden viele Leute ältere Menschen wahrnehmen, kritisiert die Grafenauer Pflegeexpertin Almut Satrapa-Schill. Dabei seien Ältere meist aktiv – und begehrt als Kunde, Mitarbeiter oder Freiwilliger.

Grafenau - Ausgesprochen jugendlich wirkt Almut Satrapa-Schill, wenn sie Besucher in ihrem Grafenauer Arbeitszimmer empfängt – und das liegt nicht nur an den leuchtend blau lackierten Fingernägeln. Die heute 66-Jährige hat während ihrer langjährigen Arbeit bei der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart zahlreiche Modellprojekte im Bereich der Pflege angestoßen. Dafür wurde sie kürzlich mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Frau Satrapa-Schill, von wem wollen Sie selber später gepflegt werden?
Erst einmal möchte ich alles dafür tun, dass ich so lange wie möglich geistig und körperlich fit bleibe. Eine kürzlich erschienene Studie besagt, dass auch Hundertjährige noch zu Hause leben und für sich sorgen können. Wenn ich pflegebedürftig würde, würde ich mich so lange wie möglich der häuslichen Pflege anvertrauen.
Sollten Ihre beiden Töchter das übernehmen?
Ich gehe davon aus, dass meine Töchter arbeiten werden, und Berufstätigkeit ist nur ganz schwer mit der Pflege eines Angehörigen zu vereinbaren. Das führt häufig zu Erschöpfung. Das möchte ich verhindern.
Bei der Robert Bosch Stiftung haben Sie sich intensiv mit dem Thema Pflege beschäftigt – wie hat diese sich denn gewandelt?
Die Pflege von alten oder kranken Menschen oblag meist Ordensfrauen, die aus christlicher Nächstenliebe handelten. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Beruf stark professionalisiert und vom Arztberuf allmählich emanzipiert. Inzwischen kann man auch hier akademische Abschlüsse bis zum Doktorgrad erwerben.
Aber die Bezahlung der Pflegekräfte hält damit kaum Schritt, oder?
Ja, das gilt vor allem für die Altenpflege und akademisch qualifizierte Pflegefachkräfte. Angesichts der hohen Verantwortung in Führungspositionen wie die einer Pflegedirektorin oder eines Pflegeexperten ist das Gehaltsniveau nicht mehr angemessen.
Die SPD-Sozialministerin Katrin Altpeter hat Ihnen kürzlich das Bundesverdienstkreuz überreicht. Sehen Sie das auch als Zeichen, dass die gesellschaftliche Anerkennung der Pflege steigt?
Ich hoffe das sehr! Der frühere CDU-Minister Norbert Blüm hat noch gesagt, Pflegen könne jeder. Es ist gut, dass die Pflege zunehmend als eigenständige berufliche Leistung anerkannt wird. Dass der Beruf dadurch an Attraktivität für den Nachwuchs gewinnt, weiß Frau Altpeter, die selbst ausgebildete Altenpflegerin ist.
Zeigt sich der demografische Wandel in Kommunen wie Grafenau bereits?
Grafenau ist vom Wandel bislang nicht so stark betroffen, weil es in der Stuttgarter Region boomt und sich nach wie vor junge Familien ansiedeln. In anderen Regionen, wie auf der Ostalb, ziehen junge Leute weg und die Alten bleiben zurück. Aber alle Kommunen müssen sich früher oder später auf demografisch bedingte Veränderungen vorbereiten.
Sie gehören zum Vorstand der Grafenauer Bürgerstiftung, die sich für Menschen mit Demenz einsetzt. Was bedeutet das?
Wir wollen beispielsweise Gewerbetreibende sensibilisieren. Wenn jemand zum Beispiel am Bankschalter jeden Tag 100 Euro abhebt, kann das ein Zeichen für Demenz sein. Die Mitarbeiter könnten dann einen Hinweis geben, sodass Fachleute den Kontakt zu den Betroffenen aufnehmen können.
Im Mai erschoss ein 71-Jähriger in Weil im Schönbuch aus Verzweiflung seine demente Frau und sich selber. Können Initiativen wie die in Grafenau solchen Menschen helfen?
Das Thema Demenz ist auf jeden Fall mit sehr viel Angst besetzt. Das Gefühl von Aussichtslosigkeit kann zu solch schlimmen Handlungen führen. Deshalb müssen Angehörige unterstützt werden. So wollen wir in Grafenau Patenschaften etablieren, bei denen Ehrenamtliche pflegende Angehörige für einige Stunden entlasten.
Sie werben dafür, den demografischen Wandel auch als Chance zu sehen. Inwiefern?
Viele Menschen halten „die Alten“ pauschal für pflegebedürftig und gebrechlich. Dabei trifft das meist gar nicht zu! Viele betätigen sich ehrenamtlich, auch die Wirtschaft hat die Älteren als Kunden entdeckt. Auch die meisten Unternehmen haben längst begriffen, dass man ältere Mitarbeiter schätzen und sie frühzeitig auf eine längere Erwerbstätigkeit vorbereiten muss. Denn die Gesellschaft braucht die Alten!
Das Gespräch führte Kata Kottra