Viele Familien investierten deshalb vor 20 Jahren in ein Zimmer im Gemeindepflegehaus. Jetzt droht diesem das Aus – und die Zimmerbesitzer fühlen sie sich vom Alexanderstift übers Ohr gehauen.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Jahrzehntelange Mieteinnahmen, danach ein gesicherter Platz für das Alter: So in etwa stellten es sich jene Menschen vor, die vor 20 Jahren ein Zimmer im Gemeindepflegehaus in Weissach im Tal kauften. Der Kaufpreis betrug zwischen 180 000 und 270 000 Mark. Die Versprechungen damals waren vollmundig: Werbebroschüren schwärmten vom „zeitgemäßen baulichen Konzept“, vom „sicheren, attraktiven Mieter für 20 Jahre und mehr“ und einer „Vollversorgung im Pflegefall“. Jetzt, 20 Jahre später, droht dem Heim die Schließung. Viele, die damals investiert haben, fühlen sich betrogen. „Wir stehen vor einem großen Wertverlust“, sagt Roland Leister. Seine Mutter hatte eines der Zimmer gekauft; als sie vor sieben Jahren starb, erbte er es.

 

Bevor das Heim 2002 in Betrieb ging, sah das Konzept wie folgt aus: Die Appartements in dem damals gebauten Pflegehaus wurden einzeln an gut 40 Parteien verkauft. Der Alexander-Stift, eine diakonische Altenhilfeorganisation aus Großerlach, die zur Diakonie Stetten gehört, pachtete diese dann für 20 Jahre. Die Käufer bekamen zunächst Miete, ihre Zimmer konnten sie vererben und verkaufen. Die meisten hofften, im Fall der Fälle im Alter selbst dort einziehen zu können. So war es auch bei der Familie Voß, die erst 2017 eine betreute Wohnung in dem Pflegeheim kaufte. „Diese Wohnung war in allererster Linie dafür gedacht, dass mein Mann oder ich dort einzieht, falls einer ,übrig bleibt’ und nicht mehr allein im großen Haus bleiben kann“, erzählt Christiane Voß.

Doch dazu kommt es nun wohl nicht. Dem erst 20 Jahre alten Pflegeheim mit betreutem Wohnen droht das Aus, weil es nicht der Landesheimbauverordnung entspricht. Diese gilt seit 2009 und sieht beispielsweise Einzelzimmer mit einer gewissen Mindestgröße vor. Zwar räumte das Waiblinger Landratsamt dem Weissacher Pflegeheim eine Übergangsfrist ein, die 2026 endet. Doch ob diese das Aus des Pflegeheims abwenden kann, ist fraglich. Denn ein Umbau der Zimmer würde für die Eigentümer sehr teuer und aus Doppel- würden Einzelzimmer. Zudem ist fraglich, wie viel Miete der Alexander-Stift nach 2026 überhaupt noch zahlen würde. „Da wird kein Eigentümer mehr investieren wollen“, ist der Zimmerbesitzer Roland Leister überzeugt.

Ein Investor hätte nur einen Bruchteil des Kaufpreises bezahlt

Ein Sprecher der Diakonie betont, seine Organisation habe zwar „großes Interesse, den Standort in Weissach weiter zu erhalten und auch in Zukunft ein Pflegeheim zu betreiben“. In anderen Orten hätte man Pflegeheime erfolgreich umbauen können, in Weissach stehe eine solche Lösung jedoch aus. Ohne einen Umbau blieben in dem Heim nur noch 23 vorschriftsgemäße Zimmer – statt der 45, „die wir für einen auskömmlichen Betrieb benötigen“. Bis zum Jahr 2026 müsste das Heim entweder umgebaut oder ein Neubau begonnen sein. „Die Ideen liegen seit mehreren Jahren vor, jetzt braucht es eine Entscheidung der Eigentümer, damit wir bei der Heimaufsicht weitere Anträge stellen können“, so der Diakonie-Sprecher gegenüber unserer Zeitung.

Zwischendurch hatte ein Investor Interesse angemeldet, das Heim abzureißen und ein neues Gebäude mit mehr Wohneinheiten zu bauen. Doch das Angebot, das er den Eigentümern vorgelegt hat, betrug nur ein Bruchteil des ursprünglichen Kaufpreises. „Das käme einer Enteignung gleich“, findet Christiane Voß. Einen Abriss könnten die Eigentümer nur einstimmig beschließen – und laut Bürgermeister Daniel Bogner sind die Gespräche mit dem Investor gescheitert.

Ein weiterer Punkt, der die Zimmerbesitzer aufregt: Nur in Baden-Württemberg gilt die Heimbauverordnung auch für bestehende Heime. Während es in anderen Bundesländern Regelungen gibt, die Bestandsbauten schützen, ist die Verordnung in Baden-Württemberg strenger. Zwar gibt es „Ermessenslenkende Richtlinien zur Landesheimbauverordnung“ des Sozialministeriums; in manchem Bereichen hat sich das Landratsamt auch kompromissbereit gezeigt. Eine von den Eigentümern geforderte Befreiung von den Standards will die Behörde jedoch nicht erteilen. „Und das, obwohl die Zimmer oft nur wenige Zentimeter unter der Mindestgröße liegen“, zürnt Roland Leister. „Die Heimaufsicht schädigt nicht nur den Pflegestandort in Unterweissach, sondern vor allen Dingen auch den Betreiber und letztendlich die Eigentümer massiv.“

Auch in der Diakonie Stetten zeigt man sich unzufrieden mit der Heimbauverordnung: „„Ich kann sehr gut verstehen, dass die Verordnungsgeber mehr Lebensqualität für Bewohner in den Pflegeheimen wünschen. Das möchte ich auch. Allerdings wäre es mir viel lieber, wenn wir die Millionen Euro, die die Umbauten in Baden-Württemberg kosten, in mehr Mitarbeitende investieren als in Bestandsgebäude“, so Gaby Schröder, Geschäftsführerin des Alexander-Stifts.

Die Gemeinde Weissach sucht nach einem Standort für den Neubau

Auch der Gemeinde läuft die Zeit davon, der Verlust der Pflegeplätze würde sie schmerzen. Derzeit sondiert sie mögliche Standorte für einen Neubau. Was dann aus den bestehenden Gebäuden des jetzigen Alexander-Stifts wird, ist unklar. „Sollte es nach 2026 keinen stationären Pflegebetrieb mehr geben, wird sich die Gemeinde für eine gute Nachnutzung einsetzen und dafür auch entsprechende Rahmenbedingungen schaffen wollen“, verspricht Bogner. Er sei „vorsichtig optimistisch, dass wir eine gute Lösung finden und hinbekommen werden“.

Altenpflege in der Krise

Landesheimbauverordnung
 Die Landesheimbauverordnung (LHBVO) soll die Qualität des Wohnens in stationären Einrichtungen regeln. Sie trat 2009 in Kraft und sieht unter anderem vor, dass Einrichtungen nicht mehr als 100 Plätze haben, die einzelnen Appartements über eine Fläche von mindestens 14 Quadratmeter verfügen. Bei Neubauten ist auch ein eigener Sanitärbereich pro Zimmer vorgeschrieben.

Geltung
 Die LHBVO gilt seit 2009 für Neubauten, bei bestehenden Heimen hat das Land eine Übergangsfrist von zehn bis maximal 25 Jahren nach „erstmaliger Inbetriebnahme“ gewährt. Sozialminister Manfred Lucha hatte 2018 geäußert, die Verordnung müsse „zu Unrecht als Sündenbock herhalten, wenn einzelne Einrichtungen notwendige Investitionen in die Infrastruktur teilweise seit Jahrzehnten versäumt haben“.