Kommunen wie Pforzheim haben mit sogenannten Swap-Geschäften viel Geld verloren und wollen es sich vor Gericht zurückholen.

Stuttgart - Die Deutsche Bank will es erst einmal auf den Prozess ankommen lassen: Das Angebot der Stadt Pforzheim zu Vergleichsverhandlungen haben die Banker ignoriert. Deshalb muss nun das Landgericht Frankfurt vom 13. Juli an über die Klage der Stadt beraten, die 20 Millionen Euro von der Großbank will. Das Verfahren ragt aus der Flut der Prozesse heraus, die Kommunen seit fast zehn Jahren gegen Kreditinstitute führen, weil sie sich auf Spekulationsgeschäfte einließen, die sie später bitter bereut haben. Der amerikanischen Großbank JP Morgan Chase hat Pforzheim in einem Vergleich bereits 37 Millionen Euro abgetrotzt; die Deutsche Bank soll nun für den restlichen Schaden aufkommen.

 

Mittlerweile lassen sich Kommunen grundsätzlich nicht mehr auf so komplizierte Konstruktionen wie „Spread Ladder Swaps“ ein, die von den Banken als Geschäfte zur Zinsoptimierung verkauft wurden, in Wahrheit aber schlichte Wetten gewesen sind. „Die Welle ist schon 2009 abgeklungen“, sagt der Rechtsanwalt Georg Jäger von der Kanzlei Rössner. Die Münchner vertreten eine Vielzahl von Kommunen vor Gericht und haben im März 2008 vor dem Landgericht Würzburg für zwei Töchter der fränkischen Stadt den ersten spektakulären Erfolg gegen die Deutsche Bank erstritten; die Bank habe unzureichend über die Risiken der Swap-Geschäfte aufgeklärt, lautete das Urteil. „Wegen der Finanzkrise sind viele Banken auf die Bremse getreten“, erklärt sich Jäger den Rückgang.

Ausgerechnet die Landesbank hat in NRW das Geschäft gemacht

Zudem ist in der Politik die ursprünglich große Begeisterung für sogenannte „moderne Methoden des kommunalen Schuldenmanagements“ rasch abgeklungen, als immer mehr Städte und Zweckverbände in Schieflage gerieten – insbesondere in Nordrhein-Westfalen. Alleine in diesem Bundesland sollen 100 Kommunen bei Swap-Geschäften insgesamt Verluste zwischen 100 Millionen Euro und einer Milliarde Euro erlitten haben. So steht es in der Begründung der Oppositionsparteien CDU und FDP für ein Gesetz zum Schutz der Kommunen vor Risiken aus spekulativen Finanzgeschäften, das der Düsseldorfer Landtag im Oktober 2015 allerdings abgelehnt hat.

174 Kommunen im größten deutschen Bundesland sind finanziell in Not und stehen deshalb haushaltsrechtlich unter Aufsicht. Etatprobleme haben die Städte und Gemeinden an Rhein und Ruhr freilich seit langem gehabt – und waren deshalb besonders interessiert an den angeblich so lukrativen Finanzinnovationen der Banken. Dabei tat sich ausgerechnet die öffentlich-rechtliche Westdeutschen Landesbank (WestLB) besonders hervor.

Die LBBW ist durch das Geschäft in Sachsen ins Spiel gekommen

Weil die Geschäfte aber keinen Gewinn abwarfen, sondern zu hohen Verlusten führten, haben sich anschließend mehr als 60 Kommunen mit der Bank und deren Nachfolgeinstitut, der Ersten Allgemeinen Abwicklungsanstalt (EAA), darüber gestritten, wer den Schaden zu tragen hat; zu Jahresbeginn wurden mehr als ein Dutzend Vergleiche geschlossen. Die WestLB hat die Angebote auch für die sächsische Landesbank konzipiert, die vor neun Jahren von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) übernommen wurde. Den gerichtlichen Streit mit den kommunalen Einrichtungen in Sachsen haben die Stuttgarter überwiegend durch den Abschluss von Vergleichen beigelegt.

Die Misere hat die Länder auf den Plan gerufen

Bundesweiter Marktführer bei den Swap-Geschäften war jedoch mit weitem Abstand die Deutsche Bank, die auch der Stadt Pforzheim im Jahr 2004 Hilfe beim Umgang mit den Schulden anbot. Swaps gelten in der Finanzbranche keineswegs als unseriös. Für Kommunen sind sie nach der allerdings unverbindlichen Muster-Dienstanweisung des Deutschen Städtetags, die erst Mitte 2015 noch einmal überarbeitet worden ist, grundsätzlich zulässig , wenn es sich um Optimierungsgeschäfte zur Minderung der Zinsbelastung handelt. Gleiches gilt für Geschäfte, mit denen sich eine Kommune gegen Zinsänderungsrisiken absichert. Den Rahmen hat im Grundsatz bereits die sogenannte Derivateverordnung des baden-württembergischen Innenministeriums aus dem Jahr 1998 abgesteckt. Unmissverständlich steht dort, dass „die Kommunen das allgemeine Spekulationsverbot zu beachten“ hätten. Der entscheidende Satz zu den Swapgeschäften lautet: „Basis der Zinsgeschäfte muss … ein vorhandenes konkretes Kreditgeschäft sein.“

Die Swaps sind lediglich eine Wette

Dieses Kreditgeschäft gibt es aber bei den „Spread Ladder Swaps“ nicht. „Es ist eine Wette auf die Zinsstrukturkurve“, lautet die Definition von Hans-Peter Burghof, Banken-Professor an der Uni Hohenheim. Die Kommune wettet mit der Bank, dass der Abstand zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinsen während der Laufzeit des Geschäfts zunimmt. Ein eindeutiges volkswirtschaftliches Modell für solch eine Veränderung gibt es nicht. Nach Ansicht der meisten Ökonomen deutet ein zunehmender Zinsabstand auf eine wirtschaftliche Belebung hin. In dem Fall hätte die Kommune gewonnen. Schrumpft dieser Abstand jedoch, dann hat sie den Kürzeren gezogen. Wird die Zinsstruktur sogar invers, sinkt also der langfristige Zins unter den kurzfristigen, dann türmt sich ein Verlustrisiko auf, das theoretisch unbegrenzt ist. Im Jahr 2006 war dies zum Beispiel der Fall. Eine inverse Zinsstruktur kann auf eine nahende Rezession hindeuten.

Dass die Kommunen spekuliert haben, obwohl sie es nicht hätten tun dürfen, hat die Landespolitik auf den Plan gerufen. Das Bundesland Sachsen hat deshalb die Notbremse gezogen und den Kommunen Spekulationsgeschäfte per Gesetz untersagt. Gleichwohl abgeschlossene Geschäfte sind danach nichtig. Aus der Sicht der Anwaltskanzlei Rössner ist das der richtige Weg, denn „durch die Rechtsfolge der Nichtigkeit liegt das Risiko beim Abschluss spekulativer Geschäfte ausschließlich auf Seiten derer, die Produkte strukturieren“ – also bei den Banken. Die Anbieter könnten dann nicht mehr argumentieren, dass sie in den Beratungen auf alle Risiken hingewiesen hätten. Hierauf hat auch die FDP in Baden-Württemberg mit einem Gesetzentwurf abgezielt, der aber im November 2015 im Innenausschuss abgelehnt und beerdigt wurde. Die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen hat in einem Gesetz zur Änderung zahlreicher kommunalrechtlicher Vorschriften, das zu Jahresbeginn in Kraft getreten ist, den Kommunen Spekulationsgeschäfte ausdrücklich verboten; von Nichtigkeit ist allerdings keine Rede.

Pforzheim und die Millionen

Marktwert
Die Stadt Pforzheim hat in den Jahren 2004 und 2005 Swap-Geschäfte mit der Deutschen Bank abgeschlossen („Spread Ladder Swaps“). Da die Spekulation auf steigende langfristige Zinsen nicht aufging, fiel der Marktwert der Kontrakte in den Keller; der Stadt drohte ein Verlust von 20 Millionen Euro. 2006 stoppte sie das Geschäft und vereinbarte mit der US-Bank JP Morgan Chase einen Vertrag, der alle Risiken aus dem ersten eliminieren sollte („Spiegel-Swap“).

Gesamtpaket Der „Spiegel-Swap“ war Teil eines Gesamtpakets mit drei neuen Swaps, die die Stadt abschloss. Diese neuen Geschäfte bescherten Pforzheim Verluste von 57 Millionen Euro. Zwei Mitarbeiter der Investmentbank wurden wegen Beihilfe zur schweren Untreue angeklagt, weil sie laut Staatsanwaltschaft den Gemeinderat nicht korrekt über die Risiken informiert haben.

Finanzkrise Der ursprüngliche Swap der Deutschen Bank, der zunächst weiter auf 30 Millionen Euro Verlust gesunken war, hätte sich in der Finanzkrise plötzlich erholt. Hätte ihn die Stadt weiterlaufen lassen und keinen „Spiegel-Swap“ abgeschlossen, wäre ein Gewinn von neun Millionen Euro angefallen.

Vergleich Die Stadt verklagte JP Morgan Chase vor dem Landgericht Frankfurt auf 57 Millionen Euro Schadenersatz. Im Dezember 2014 einigten sich die Parteien auf einen Vergleich; die Stadt erhielt 37 Millionen Euro zurück. Im Dezember 2015 verklagte die Stadt die Deutsche Bank, um die restlichen 20 Millionen Euro zu erhalten; am 13. Juli beginnt der Prozess vor dem Landgericht Frankfurt.

Nachspiel Für die frühere Oberbürgermeisterin Christel Augenstein (FDP), die von 2001 bis 2009 im Amt war, und die ehemalige Stadtkämmerin Susanne Weishaar (2002 – 2009) hat der Skandal noch ein Nachspiel. Sie sind wegen schwerer Untreue angeklagt und werden deshalb voraussichtlich 2017 vor Gericht stehen.

Wie Zinsen getauscht werden

Swaps Mit Swaps können zum Beispiel variable und feste Zinsen ebenso wie kurz- und langfristige Zinsen gegeneinander getauscht werden. Eine Kommune, die zum Beispiel einen Kredit mit festem Zinssatz hat, ärgert sich darüber womöglich, wenn die variablen Zinsen niedriger sind; geht der Kämmerer davon aus, dass dieser Trend anhält, dann bietet sich ein Swap-Geschäft an. Ansprechpartner ist die Bank, die entweder selbst die Gegenposition einnimmt oder einen Kunden sucht, der auf steigende variable Zinsen setzt.

Formel Die Verträge enthalten viele Variablen, die sich mit Hilfe einer Formel zu einem Marktwert des Swaps zusammenfassen lassen. Bei den Verträgen, die mit den Kommunen gemacht wurden, waren die ursprünglichen Marktwerte vielfach negativ. Die Variablen wurden zu Beginn zum Nachteil der Kommunen angesetzt, so dass sie – anders als die Bank – kaum etwas verdienen konnten. Die negativen Marktwerte wurden freilich in der Regel verschwiegen, was der Bundesgerichtshof moniert hat. Begründung: Als Beraterin des Anlegers müsse die Bank dessen Interessen wahren und offenlegen, dass das Swap-Geschäft am Markt als hochriskant bewertet wird.

Angefixt Die Banken haben nicht nur den negativen Marktwert verheimlicht, sondern die Kunden noch dadurch eingelullt, dass ihnen in den ersten ein oder zwei Jahren garantierte Gewinne überwiesen wurden. „Die Kämmerer sind regelrecht angefixt worden“, lautet das Urteil der Münchner Kanzlei Rössner.