Der britische Rockmusiker Phil Collins hat in der Stuttgarter Mercedes-Benz-Arena vor 40 000 begeisterten Zuschauern seine Klassiker gesungen.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Phil Collins wirkt deutlich fitter als bei seinen fünf Gastspielen vor exakt zwei Jahren in Deutschlands größter Konzerthalle, der Lanxess-Arena in Köln, als er sich mit sichtlichen Mühen am Stock zu seinem Chefsessel auf der Bühne schleppte, auf dem er das gesamte Konzert verbrachte. Auf die Bühne im Stuttgarter Stadion kommt Collins nun ebenfalls am Gehstock, mit gemessenen, allerdings deutlich souveräner wirkenden Schritten. Er ist in der Lage, sich zwischenzeitlich auch aus dem Stuhl zu erheben, von dem aus er singt. Und auch wenn der gelernte Drummer längst nicht mehr Schlagzeug spielen kann, setzt er sich genau zur Mitte des Konzerts mit seinem Perkussionisten und seinem mittlerweile 18-jährigen Sohn Nicholas, der nunmehr sein Tourschlagzeuger ist, auf das Bühnenpodest, um mit den beiden zum Ende einer kleinen Schlagzeugbattleorgie zumindest eine kleine Cajon-Kastentrommel zu bedienen.

 

Phil Collins befeuert die Spekulationen über seinen Gesundheitszustand weiterhin selbst fleißig. Was die genauen Ursachen seiner für einen 68-jährigen Mann nicht alltäglichen körperlichen Gebrechen betrifft, aber auch hinsichtlich des Umstands, dass er seit 2002 regelmäßig seinen Bühnenabschied verkündet, aber stetig weitermacht. „Still not dead yet“ hat er die aktuelle Tour selbstironisch betitelt, in Anlehnung an seine 2016 erschienene Autobiografie „Not dead yet“ und die gleichnamige folgende Tour.

Er will noch immer – sein Publikum auch

Das Stadion ist bei Weitem nicht ausverkauft, auf den hinteren oberen Rängen klaffen reichlich Lücken, vielleicht auch wegen der alles andere als günstigen Eintrittskarten (von den frechen Getränkepreisen im Stadion ganz zu schweigen) und dem nicht schlüssig ausgewählten Vorprogramm (Collins’ Ex-Band-Kollege Mike Rutherford hat mit Mike & the Mechanics erst vor sechs Wochen im Hegelsaal gespielt).

Doch vierzigtausend Zuschauer wollen Augen- und Ohrenzeugen sein, das ist natürlich ein enormer Zuspruch. Phil Collins hat nach wie vor jede Menge Fans, und er scheint ganz offenkundig nach wie vor gerne live zu spielen, denn weder aus finanziellen Gründen müsste er sich dies zumuten noch aus dem tiefen inneren Bedürfnis heraus, neue Songs vorstellen zu müssen; sein letztes Album mit Eigenkompositionen erschien vor fünfzehn Jahren.

Und so wird auf dieser Tournee mehr oder weniger haargenau das Gleiche in der gleichen Reihenfolge gespielt wie auf der letzten. Zum Auftakt die beiden Kracher „Against all Odds (Take a look at me now)“ und „Another Day in Paradise“, zwischendurch weitere Evergreens wie „Follow you follow me“ und „Something happened on the Way to Heaven“ und zum Abschied in einer zugegebenermaßen beeindruckenden Reihe sechs Welthits am Stück: „In the Air tonight“, „You can’t hurry love“, „Dance into the Light“, „Invisible Touch“, „Easy Lover“ und schließlich vor der Ein-Song-Zugabe „Sussudio“. Ein paar der Coverversionen also, mit denen er Erfolge feierte, nahezu alle seiner eigenen Klassiker sowie einige der großen Erfolge seiner Exband Genesis, mit der er vor genau zehn Jahren letztmals im Stuttgarter Stadion auftrat. Einzig „Don’t lose my Number“ hat er neu im Programm, nichts allerdings aus dem energetischen Repertoire von Genesis wie etwa „Land of Confusion“, und schon gar nichts vom komplexeren Oeuvre dieser Band, etwa von Collins’ angeblichem Genesis-Lieblingsalbum „The Lamb lies down on Broadway“.

Komplizierte Fragen, einfache Antworten

Angesichts einer so vorhersehbaren Gassenhauer-Revue könnte man nun sagen: Chance vertan, das Image jenes Mannes abzustreifen, der die aufregende Progressive-Rock-Band Genesis zu einer formatradiotauglichen Mainstreamband umgepolt hat. Dessen schmalzbeseelte kuschelrockende Omnipräsenz im Äther schließlich sogar dem Künstler selbst unerträglichen Überdruss beschert hat, wie er einmal einräumte. Und der seinen Ruf unter Freunden ambitionierter Musik mit britischem, aber doch ein Fünkchen Wahrheit enthaltendem Understatement und den Worten umriss: „Die einzigen, die mich cool finden, sind meine Kinder.“

Aber darum geht es wohl weder Phil Collins noch dem Publikum, das den Musiker schon zur Begrüßung mit einem Vorschussapplaus willkommen hieß, der an Lautstärke mühelos die nachfolgende Musik so in den Schatten stellte, wie es selbst routinierte Konzertgänger selten bis nie hören. Hier geht es um die Wiederhörensfreude, hier geht es um unanstrengend groovende Unterhaltungsmusik. Und hier geht es vor allem um selige Erinnerungen an die Hochzeiten dieser Musik, die Achtziger, die das Gros des fast durch die Bank reifen Stuttgarter Publikums mit all seinen Annehmlich- und Scheußlichkeiten miterlebt hat, von den ersten Küssen auf den ersten Parties bis hin zu auftoupierten Vokuhilafrisuren, Schulterpolstern, neonfarbenen Stirnbändern und hochgekrempelten Sakkos in abgetönten Trendfarben.

Die Stimme ist noch da

Und als wär’s erst gestern, singt Phil Collins, in absolutem Widerspruch zu seinem äußeren Erscheinungsbild, alle Lieder auf einem erstaunlich ungebrochenen Niveau, nur selten trifft er einen Ton nicht. Gleiches gilt für seine 14-köpfige Begleitband, die aus teils uralten Hasen wie dem seit 1977 als Aushilfe bei Genesis tätigen Daryl Stuermer besteht und die – wie man es bei einem Auftritt dieses Formats erwarten darf – ein professionelles Fundament legt, inklusive schneidig agierendem Bläsersatz und dynamischen Backingvokalisten.

Phil Collins kokettiert zwischen den Songs beifallumrauscht ein wenig mit seinen Gebrechen und flicht auch ein paar Sätze auf Deutsch ein, was man alles als haarscharf an der Anbiederung vorbeigeschlittert deuten könnte – oder eben als Ausdruck der beidseitigen Wiedersehensfreude bei Künstler und Publikum sowie der Wiederhörensfreude an einer Musik, die es allen recht machen will. Und dies aber auch tut.