In den 1980er Jahren waren seine Stücke an der Oper Stuttgart Kult – An diesem Dienstag wird Philip Glass 80.

Stuttgart - „Bei Phil ist es ein bisschen wie bei einer Zugfahrt einmal quer durch Amerika: Wenn Sie aus dem Fenster schauen, scheint sich stundenlang nichts zu verändern, aber wenn Sie genau hinsehen, bemerken Sie, dass sich die Landschaft sehr wohl verändert – langsam, fast unmerklich.“ Was der US-amerikanische Regisseur Peter Sellars einmal über seinen Landsmann Philip Glass gesagt hat, ist nicht nur deshalb wahr, weil es den Charakter von dessen Musik trifft: dieses Dahinschnurrende, Mechanische, Aneinandergereihte, die rhythmischen Bewegungen, das Hermetische und Monochrome, dessen scheinbare Endlosschleifen man bis heute als typisch für die so genannte Minimal Music nimmt – auch wenn sich diese Kompositionsrichtung heute auf unterschiedlichste Weise ausdifferenziert hat.

 

Sellars trifft auch das sehr Amerikanische von Glass’ Komponieren, dessen Einfachheit und dessen betont Unakademisches unbedingt als Antwort auf die hohe Komplexität der europäischen Serialisten zu verstehen sind. Was Boulez und Stockhausen gemacht hätten, bemerkte Glass einmal, sei „eine völlig sinnlose Angelegenheit“; anstelle „der meisten möglichen Noten“ müsse es jetzt darum gehen, „die geringste Menge möglicher Noten“ zu komponieren. Oder, sagen wir es genauer: die geringste Menge unterschiedlicher Noten. „Wir haben seit Schönberg siebzig Jahre hinter uns mit Werken, die keiner versteht“, sagt Glass, „da kann ja wohl nichts falsch sein an ein wenig zeitgenössischer Musik, die Anklang findet.“

Tonalität, Funktionsharmonik, Wiederholungen: Alles wieder da

Das Wiederholungsverbot der Serialisten haben die Minimalisten entschieden ausgehebelt. Auch Tonalität, ja sogar funktionsharmonisches Denken sind wieder en vogue. Und so wie bildende Künstler der Minimal Art in den 1950er Jahren ihre Bilder auf monochrome Leinwände, ihre Objekte und Skulpturen auf einfache, wiederholte Formen reduzierten, so fegte Terry Riley 1964 in seinem Kultstück „In C“ mit rhythmisch verschobenen Umspielungen des C-Dur-Akkords die ganze komplizierte Avantgarde vom Tisch.

La Monte Young war es anschließend vor allem, der in seiner Musik die reine Klang-Gegenwart einforderte: unablässige, hypnotische Wiederholungen von Rhythmen, Tonfolgen, Akkorden; statische Klänge, aus denen alle Vergangenheit, alle Zukunft, alle Erinnerung und Entwicklung, alles Persönliche, auch die Person des Künstlers, herausdestilliert worden sind. Musikalische Stillleben, voller Farbe, aber ohne Signatur.

Glass hat viel fernöstliches Gedankengut in seine Musik integriert

Philip Glass, als musikalisch Hochbegabter in einem jüdischen Elternhaus in Baltimore aufgewachsen, später bekennender Buddhist, hat Ravi Shankar kennengelernt und danach viel fernöstliches Gedankengut in seine minimalistischen Werke integriert. Zunächst mit wenig Erfolg; lange fuhr er zum Geldverdienen noch nachts im Taxi durch New York und nahm Jobs als Möbelpacker an. 1970 gründete er sein eigenes Ensemble: der Grundstein zum Erfolg, denn fortan mussten Veranstalter immer zusätzlich zum Komponisten den Interpreten Glass dazu buchen.

Der Durchbruch kam 1976 mit „Einstein On The Beach“, Glass’ erster Zusammenarbeit mit dem Regisseur Robert Wilson. Mit „Satyagraha“ (1980) und „Akhnaten“ („Echnaton“, 1984 mit großem Publikumserfolg uraufgeführt an der Oper Stuttgart) folgten zwei weitere Erfolgsopern. Das Musiktheater wurde zu Philip Glass’ Königsdisziplin – neben zahlreichen Filmmusiken, darunter etwa die bekannten zu „Koyaanisqatsi“ oder der „Truman Show“. 25 Opern komponierte er bis heute. Dabei hat er die Gattung zwar, gerade in Zusammenarbeit mit eher bild- als prozesshaft denkenden Regisseuren wie Robert Wilson und (in Stuttgart) Achim Freyer, entdramatisiert, wenn man so will: in ein Oratorium verwandelt, aufgesplittert in eine Folge von oft statisch wirkenden Einzelszenen. Die Oper hat aber auch seine Musik verändert. Sie hat Glass’ Art von Minimalismus, der sich noch in den 60er Jahren etwa auf sanft gegeneinander verschobene Fünftongruppen („Music in Fifths“) beschränkte, die Unschuld geraubt, hat Pathos einfließen lassen, Bewegung, Dramaturgie. Was vorher statisch floss, begann jetzt auf Menschen zu reagieren, die auf der Bühne agieren. Und wollte eben auch auf die Menschen wirken, die vor der Bühne sitzen, sehen und hören – und denen die Klänge dann wahlweise unter die Haut gehen oder auf den Wecker.

Wiederholungen? Gibt es nicht!

Damit wären wir dann wieder bei Peter Sellars. Was dieser auch sagen wollte, ist, dass man bei Philip Glass genau hinsehen, also: hinhören muss, um zu bemerken, dass es Wiederholungen eigentlich gar nicht gibt, sondern dass immer kleine Veränderungen dabei sind. Dass sich Tonarten immer in die eine oder in die andere Richtung hören lassen. Die Musik entsteht nie nur im Kopf des Komponisten und durch die Hände und Münder der Interpreten, sondern immer auch im Ohr des Lauschenden, und das gilt ganz besonders für Glass’ durch harte Schnitte gegliederte, kleingliedrig-flirrende Klänge. Glaubt man dem immer noch aktiven Komponisten, so träumt er übrigens zuweilen ganze Stücke – „aber was hilft das? Ich muss sie ja trotzdem noch aufschreiben!“