In der Zwischenzeit laufen die Rechner heiß. Die Wissenschaftler prüfen, wie häufig die rund 11 000 gefundenen Higgs-Teilchen in Photonen, Elektronen oder andere Kollisionstrümmer zerfallen und in welcher Richtungen diese Zerfallsprodukte davonflitzen. Dies sollte mit theoretischen Modellen übereinstimmen, die bis auf die ersten Vorhersagen des Physikers und Namensgebers Peter Higgs aus dem Jahr 1964 zurückgehen. Jede Abweichung wäre eine weitere Sensation. Zunächst haben die Forscher die Masse des Higgs-Teilchens relativ gut und sicher auf das 133-fache der Protonenmasse eingegrenzt. Nun dreht sich alles um den sogenannten Eigendrehimpuls des Teilchens, den Spin. Anschaulich gesagt beschreibt der Spin, wie ein Objekt sich um sich selbst dreht. Die Erdkugel, ein Kreisel oder die Räder eines rollenden Fahrrads haben einen Drehimpuls. Der Spin von Elementarteilchen nimmt feste Werte an; der des Elektrons beträgt zum Beispiel ein halb, der des Photons eins. Das Higgs-Teilchen soll als einziges im Zoo oder Elementarteilchen den Spin null haben.

 

Die Forscher versuchen daher, nacheinander alle möglichen von null verschiedenen Spins auszuschließen. Bei Spin eins und Spin ein halb ist das schon gelungen. Bei Spin zwei sind die Forscher dran. Es gibt physikalische Theorien, die bei einem Higgs-Spin von zwei zusätzliche Raumdimensionen vorhersagen. „Dann wäre das richtig interessant“, sagt Jakobs. Anfang März präsentierten die beteiligten Forscher neue Auswertungen auf einer Konferenz im norditalienischen La Thuile: Das Higgs-ähnliche Teilchen scheint sich brav an die Theorie zu halten. Manch ein Forscher äußert sich zu diesen Erfolgsergebnissen schon fast enttäuscht, bieten sie doch keinen Anlass mehr, von zusätzlichen Raumdimensionen zu träumen. Schon bald sollte beim Spin die 99,99994-Prozentmarke erreicht sein. „Bis zur nächsten Konferenz in Stockholm im Juli können wir mehr sagen“, erklärt Jakobs.

Das Higgs-Teilchen verleiht aller bekannten Materie seine Masse. Das macht es für die Physiker so wichtig und spannend bei der Suche. Mit diesem Teilchen wäre die etablierte Materietheorie der Physik, das sogenannte Standardmodell komplett, das die sechs Quarks, das Elektron mitsamt Gefährten sowie das Photon in einer Theorie vereint. „Wir wissen aber, dass das nicht alles sein kann“, erklärt der Kernphysiker Thomas Müller vom Karlsruhe Institut für Technologie (KIT). Müller arbeitet am zweiten Detektor für das Higgs-Teilchen namens CMS. Die sichtbare Materie macht nur etwa vier Prozent des Universums aus. Der Rest ist Dunkle Materie und Dunkle Energie. Ob das Higgs-Teilchen auch dort eine Rolle spielt, zählt nun zu den spannenden Fragen der Forscher am Cern.