IG Metall und Arbeitgeber sind bei ihren Pilotverhandlungen in Köln am Ziel angelangt. Die 3,8 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie erhalten ein Lohnplus von 4,8 Prozent für 21 Monate, verteilt auf zwei Stufen von 2,8 und 2,0 Prozent.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Köln - Soll keiner sagen, sie hätten es sich leicht gemacht: Nach 14-stündigem harten Ringen in einem Kölner Hotel haben sich die nordrhein-westfälischen Tarifparteien der Metall- und Elektroindustrie auf einen Pilotabschluss verständigt. Sie vereinbarten ein Lohnplus von 4,8 Prozent für eine Laufzeit von 21 Monaten.

 

Zunächst ist nach zwei sogenannten Leermonaten eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro für den kommenden Juni vorgesehen. Ab 1. Juli sollen die Entgelte in einer ersten Stufe um 2,8 Prozent steigen. Die zweite Stufe folge dann ab April 2017 mit einer Erhöhung um 2,0 Prozent. Der Tarifvertrag gilt rückwirkend zum 1. April und hat eine Gesamtlaufzeit von 21 Monaten, endet also am 31. Dezember 2017.

Auf Drängen der Arbeitgeber wurde eine Differenzierungsklausel vereinbart: Betriebe mit „unterdurchschnittlicher Ertragslage“ können die für den Monat Juni 2016 gewährte Einmalzahlung streichen oder verschieben sowie die Tarifhöhung der zweiten Stufe um bis zu drei Monate hinauszögern.

IG Metall sieht keinen Betrieb überfordert

Die Entscheidung darüber, wie ein Betrieb diese sogenannte Wettbewerbskomponente nutzen will, fällt vor Ort – die Tarifvertragsparteien müssen dann binnen eines Monats darüber befinden. Vereinbart wurde auch eine sogenannte Gesprächsverpflichtung, um bis zur nächsten Tarifrunde Anfang 2018 die Wirkung der Differenzierung zu analysieren. Demnach könnte hier ein Modell für die Zukunft entstehen, um den Betrieben nachhaltig Erleichterungen zu gewähren, hoffen die Arbeitgeber.

„Der Tarifabschluss sei ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. „Er stärkt die Nachfrage des privaten Konsums.“ Zugleich erhalte der Abschluss die Innovationskraft der Unternehmen. „Kein Betrieb wird überfordert“, betonte der Vorsitzende. Für die Herausforderungen der Zukunft wie Industrie 4.0 brauche es „engagierte Beschäftigte, die fair bezahlt werden“ – zudem „Unternehmer und keine Rechenschieber“.

Arbeitgeber hoffen auf dauerhafte Trendwende

Der Trend der vergangenen Jahre zu überhöhten Tarifabschlüssen sei gestoppt, versicherte hingegen der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Arndt Kirchhoff. Das Kölner Abkommen könne aber nur ein erster Schritt zu einer dauerhaften Trendwende sein. Dazu müsse auch in künftigen Tarifrunden „nah an den wirtschaftlichen Realitäten“ verhandelt werden. Der Abschluss habe das Zeug, verloren gegangenes Vertrauen der Unternehmen in die Gestaltungsfähigkeit eines modernen Flächentarifvertrags zurückzugewinnen. „Unsere Ziele lauteten: Nicht mehr so hoch, nicht mehr so kurz, nicht mehr so starr“, sagte der Präsident von Metall NRW. Alle Ziele seien grundsätzlich erreicht. Berechnet auf die gesamte 21-monate Laufzeit sei die Gesamtbelastung von 2,45 Prozent spürbar niedriger als zuletzt. Allerdings hätte er sich noch eine längere Laufzeit gewünscht.

Als „Türöffner für einen Wiedereinstieg in die innovative Tarifpolitik“ bewertete Kirchhoff die „differenzierende Wettbewerbskomponente“. Sie biete vor allem den mittelständischen Unternehmen die Chance, auf wirtschaftliche Schieflagen flexibel zu reagieren. „Das Instrument ist einfach, wirkt schnell und wird lokal geregelt“, erklärte Kirchhoff. Nach der Tarifrunde solle mit der IG Metall eine „ernsthafte Debatte“ über eine dauerhaft flexible Tarifpolitik geführt werden.

Auch Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger lobte die möglichen „Abweichungen nach unten“ für einzelne Unternehmen in Schwierigkeiten. So könne im Einzelfall die jährliche Kostenbelastung über die gesamte Laufzeit hinweg im Volumen von mehr als zehn Prozent gesenkt werden. „Die Lage der Unternehmen ist so unterschiedlich, dass wir mit einem flexiblen Tarifvertrag darauf reagieren mussten.“ Diese Komponente sei unverzichtbar gewesen.

Abschluss für den Südwesten am Freitagnachmittag

Nun ist zu erwarten, dass auch die anderen Tarifbezirke die Vereinbarungen übernehmen, so dass der Pilotabschluss am Ende für 3,8 Millionen Beschäftigte bundesweit gilt. Nachdem der nordrhein-westfälische IG-Metall-Bezirksleiter Knut Giesler und Arbeitgeber-Unterhändler Kirchhoff ihren Erfolg am Montag in der vierten Verhandlungsrunde vorbereitet hatten, war der ursprünglich für Mittwoch in Ludwigsburg geplante Termin abgesagt worden. Der baden-württembergische Verhandlungsführer der IG Metall, Roman Zitzelsberger, sprach am Freitagmorgen von einem „tragbaren Kompromiss“. Am Freitagvormittag ab elf Uhr berät darüber die Große Tarifkommission. Am Freitagnachmittag treffen sich die Spitzen von IG Metall und Südwestmetall in Ludwigsburg, um den Tarifvertrag für die 800 000 Beschäftigten im Bezirk Baden-Württemberg nachzuzeichnen. Das Treffen dürfte nicht lange dauern, denn Änderungen sind nicht mehr zu erwarten.

Es geht um Milliarden Euro

Fünf Prozent mehr Lohn hatte die IG Metall gefordert – die niedrigste Forderung seit zehn Jahren, sieht man vom Krisentarifabschluss 2010 ab. Die Arbeitgeber wollten zuletzt eine Entgelterhöhung von 2,1 Prozent, verteilt auf zwei Stufen für 24 Monate, geben – plus eine Einmalzahlung von 0,3 Prozent. Dabei geht es um viel Geld. Nach Arbeitgeberberechnungen wären die fünf Prozent einer Steigerung der Lohnkostensumme um elf Milliarden Euro gleichgekommen.

Bis zuletzt hatte die IG Metall die Warnstreiks forciert und mit einer Eskalation nach Pfingsten gedroht. Dazu hatte sie vor der Tarifrunde das neue Instrument der Tagesstreiks in ihre Satzung aufgenommen, die speziell die Automobilhersteller schwer getroffen hätten. Die Gewerkschaft hatte bereits begonnen, eine Viertel Million Beschäftigte für diese ganztägigen Ausstände zu registrieren. Seit Ende der Friedenspflicht haben sich nach ihren Angaben bundesweit etwa 760 000 Beschäftigte an den Warnstreiks beteiligt. Den größten Anteil stellte mit 220 000 Teilnehmern bei etwa 900 betrieblichen Aktionen der Bezirk Baden-Württemberg.