Der frühere Bundesbeauftragte für den Zivildienst, Jens Kreuter, wirbt für eine allgemeine Dienstpflicht. Das könnte eine „Schule der Demut“ sein, meint er.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Seit 2015 ist Jens Kreuter (54) Geschäftsführer von Engagement Global, einer Einrichtung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Der Jurist und Theologe war 2006 bis 2011 Bundesbeauftragter für den Zivildienst, danach wurde er mit dem Aufbau des Bundesfreiwilligendienstes betraut.

 

Herr Kreuter, wie ließe sich eine Dienstpflicht für junge Menschen rechtfertigen?

Bei der Dienstpflicht geht es um den Aspekt einer ganzheitlichen, sozialen Bildung. Mit einem gemeinnützigen Dienst könnten wir junge Menschen an den Gedanken heranführen, dass wir in einer Gemeinschaft leben, bei der sich die Verantwortung des Einzelnen nicht durch die Überweisung an das Finanzamt erschöpft. Unser Gemeinwesen ist darauf angewiesen, dass Menschen mitmachen, dass sie sich engagieren und zupacken, sich einsetzen. Diese Lernerfahrung ist von einem früheren Zivildienstleistenden als eine „Schule in Demut“ bezeichnet worden – vielleicht ein wichtiger Aspekt angesichts mancher Verhaltensweisen im Internet. Kern der Idee ist es, den sozialen Zusammenhalt zu stärken.

Rechtliche Hindernisse sehen Sie keine?

Die ganzen rechtlichen Fragen sind vielleicht schwierig, aber zu lösen. Es geht nicht um einen Arbeitsdienst, sondern um einen Lerndienst, um ein Projekt des sozialen Zusammenhalts. Verfassungsrechtliche Einwände halte ich nicht für so gravierend, dass sie einem solchen Dienst entgegenstünden. Das Grundgesetz könnte man auch ändern, falls das überhaupt notwendig sein sollte. Diese Hürde ist überwindbar.

Wer erfahren möchte, was Sie sich von einer Dienstpflicht versprechen, könnte das ja jetzt schon im Rahmen eines freiwilligen Dienstes . . .

Die Freiwilligendienste sind eine tolle Einrichtung. Sie verdienen jede Unterstützung. Leider bleiben die Teilnehmenden eine Minderheit. Der Vorzug einer allgemeinen Dienstpflicht zeigt sich beim Blick auf jene, die nicht auf die Idee kommen, einen freiwilligen Dienst zu absolvieren. Da geht es um die beiden Enden des gesellschaftlichen Spektrums: kaum integrierte Jugendliche und Überflieger. Ein solcher Dienst könnte eine enorme Integrationswirkung entfalten. Das gilt auch für die Leute, die sehr gute berufliche Chancen haben. Auch denen schadet es nicht, mal eine Bettpfanne geleert zu haben.

Gäbe es genug Arbeit für alle Schulabgänger im Rahmen eines Dienstjahres? Oder wird das eine Art Beschäftigungstherapie mit sozialen Nebeneffekten?

Da bin ich sehr entspannt. Zu tun gibt’s genug. Egal wo Sie hinschauen im Sozialwesen: Überall wird händeringend Unterstützung gesucht. Zudem ließe sich ein solches Dienstjahr ja auch im Kulturbereich, im Sport oder im Umweltschutz absolvieren. Da gibt es riesige Betätigungsfelder

Trotz Dienstpflicht wären diese Hilfskräfte ja nicht gratis. Man müsste ihnen zumindest ein Taschengeld bezahlen. Manche fordern sogar: Mindestlohn. Wie denken Sie darüber?

Mindestlohn fände ich ein falsches Signal. Es geht um einen Dienst, eine ehrenwerte Tätigkeit im Dienste der Gemeinschaft, nicht ums Arbeiten und Geldverdienen. Man könnte sich auch hier am Zivildienst orientieren. Für die meisten der Teilnehmer wäre das ja das erste Mal, dass sie neben dem Taschengeld der Eltern eigenes Geld erhalten.