Der Südwestrundfunk gibt erstmals einen Ausblick auf die Debütsaison des neuen SWR Symphonieorchesters. Weil rund 180 Musiker beschäftigt werden wollen, stehen viele groß besetzte Werke auf dem Programm.

Stuttgart - Am Ende hat alles nichts genutzt. Etwa, dass die Musiker des SWRSinfonieorchesters Baden-Baden (SO) und Freiburg vor zehn Jahren solidarisch beschlossen haben, eine gestrichene Stelle aus eigener Tasche zu finanzieren – oder dass am vergangenen Samstag etliche Musikfreunde vor Beginn des Abonnementkonzerts des SO im Freiburger Konzerthaus mit einer „Informationsaktion“ wieder einmal mit Plakaten und Handzetteln gegen die Orchesterfusion beim Südwestrundfunk protestierten.

 

Im kommenden Jahr wird ein lang währender Prozess vorerst abgeschlossen sein. Ein Prozess des großen Sparens, Stellen-streichens und Fusionierens bei den sogenannten Klangkörpern des SWR. Im Jahr 2004 angestoßen vom damaligen Intendanten, Peter Voss, gipfelt das nun 2016 in der von vielen Medien, Künstlern und einigen Politikern wie dem Bundestagspräsidenten Norbert Lammert heftig kritisierten Fusion der beiden traditionsreichen Orchester, des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart und des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg. Der Vollständigkeit halber: am Wegesrand dieses Opferzugs befand sich auch das SWR-Rundfunkorchester Kaiserslautern (2007 fusioniert mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken) und das SWR-Vokalensemble, dessen Stellenzahl von 36 auf 24 geschrumpft worden ist.

All das bildet den Horizont, vor dem jetzt der amtierende SWR-Intendant Peter Boudgoust höchstselbst sowie der Hörfunkdirektor Gerold Hug, der künstlerische Gesamtleiter Klangkörper und Festivals Johannes Bultmann und die bisherigen Orchestermanager der beiden Einzelorchester erstmals Planungen für die Debütspielzeit des neuen SWR Symphonieorchesters mit Hauptsitz in Stuttgart präsentiert haben.

Zunächst ist ein Chefdirigent verzichtbar

Wer das erste Konzert überhaupt dieses Orchesters zu Beginn der Saison 2016/17 dirigieren wird, war im März durchgesickert, zum Ärger manches SWR-Oberen. Vielleicht hat das jetzt zu einer offensiveren und früheren Bekanntgabe einiger Eckdaten geführt, als das ursprünglich geplant war. Vor allem wollte man jedoch, dass sich die Musiker frühzeitig darauf einstellen können, was sie künstlerisch erwartet – und was das für ihre Pendelei zwischen den beiden Hauptkonzertorten Freiburg und Stuttgart bedeutet, so Johannes Bultmann.

Dass der angesehene Komponist und Dirigent Peter Eötvös den Taufakt am Donnerstag, dem 22. September 2016, in der Stuttgarter Liederhalle betreut, war also keine Novität mehr; ebenso hatte sich seit Längerem angedeutet, dass es in den ersten zwei, drei Jahren keinen Chefdirigenten für das SWR Symphonieorchester geben wird. Die Cheffrage ist überhaupt in den Hintergrund gerückt, auch auf Wunsch der Musiker. Peter Bromig, Orchestervorstand vom SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, möchte, dass ein Kandidat mindestens ein, zwei Programme erarbeitet, bevor es zu einer Abstimmung kommt. Und sein Stuttgarter Kollege Fionn Bockemühl ergänzt, dass man nicht um jeden Preis einen Chefdirigenten haben müsse, schon gar nicht einen, „der es halt macht“.

Noch hat man sich mit der Gewerkschaft nicht geeinigt

Da Johannes Bultmann das Votum der Musiker in dieser Frage wichtig ist, scheint es an dieser Front keine Probleme zu geben. Einiges andere aber ist ungeklärt. So hat sich der SWR bisher nicht mit der Deutschen Orchester-Vereinigung (DOV) über tarifrechtliche Fragen einigen können. So verbietet es die Tarifordnung, dass aus Mitgliedern eines Orchesters ein zweites Ensemble für mehr als zwei Produktionen pro Saison gebildet wird. Genau das strebt der SWR aber an, denn die Zahl der im neuen Orchester zusammengeführten Musiker wird schätzungsweise bei 180 liegen, möglicherweise auch bei weniger, wenn man sich über Vorruhestandsregelungen einigt – allerdings wird auch dazu die Zustimmung der DVO benötigt.

Doch selbst 150 Musiker werden nur bei äußerst wenigen Werken des Repertoires gebraucht. Mit den verbleibenden Musikern ließe sich ein kleines Orchester bilden. Ein Spitzengespräch über diese beiden wichtigen Punkte findet an diesem Freitag in Stuttgart statt. Falls es zu keiner Einigung kommt, so der DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens gegenüber der Stuttgarter Zeitung, kann es passieren, dass sehr viele Musiker, da sie nach Tarifvertragsregeln „nicht angemessen beschäftigt“ werden, sehr viel Freizeit haben – auf Kosten der Gebührenzahler, wie hinzuzufügen wäre. Peter Bromig wies darauf hin, dass die Zusammenführung der Musiker nicht einfach werde, zum Beispiel in den einzelnen Instrumentalgruppen: „Das wird bitter, aber hoffentlich unblutig“, sagte der erfahrene Hornist. Das Management setzt auf Autonomie in der Orchestereinteilung und darauf, dass die Musiker sich im Eigeninteresse zusammenraufen.

Ein Programmschwerpunkt wird Mahler sein

Was Programme und Künstler der ersten Spielzeit betrifft, war mit keinen Überraschungen zu rechnen. Das war schon bei der Vorbereitung der Fusion in den vergangenen Jahren klar und wurde vom SWR-Intendanten jetzt nochmals betont: Die meisten Konzertangebote an den Standorten wird es weiterhin geben, seien es die zehn Abo-Konzerte, die Stuttgarter Mittagskonzerte, „Attacca“ und „Eclat“ im Stuttgarter Theaterhaus, die Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Bachakademie, der Konzertdirektion Russ sowie der Kulturgemeinschaft. Ein wichtiger Termin bleiben die Donaueschinger Tage für Neue Musik und mehrere rund einwöchige Residenzen in Freiburg, in denen Probenphasen, Sonderkonzerte und Vermittlungsprojekte stattfinden.

Der Klangkörper-Chef Johannes Bultmann erhofft sich für den SWR viel von der jungen Dirigentengeneration: David Afkham, Jakub Hrusa, Cornelius Meister und Alejo Perez sind in der ersten Saison zu erleben. Dazu bekannte Namen wie Dimitrij Kitajenko, Michael Schønwandt, Emilio Pomàrico, Philippe Herreweghe sowie Christoph Eschenbach, der allein drei Mahler-Sinfonien (Nr. 1, 2 und 5) dirigiert. Da Mahler – neben Werken der finnischen Komponistin Kaija Saariaho – im „Fokus“ steht, so der Titel des Saisonschwerpunkts, werden David Zinman außerdem die Sechste und Ingo Metzmacher die Siebte leiten. Mahler, das passt, weil dafür doch recht viele Musiker gebraucht werden – und über die verfügt der SWR ja reichlich. All das wird künftig im Internet in Form einer „Digitalen Konzerthalle“ als Video-Stream zu erleben sein und ist später in einer Mediathek abrufbar.