Der am Samstag im Alter von 87 Jahren gestorbene Tomi Ungerer hat auch in Plochingen künstlerische Spuren hinterlassen – allerdings der weich gespülten Art.

Plochingen - Tomi Ungerer ist tot. Zahlreiche Nachrufe würdigen seither sein Lebenswerk als Illustrator, Buchautor und Bildhumorist. Doch ein Talent des 87 Jahre alt gewordenen Universalgenies aus dem Elsass kommt bisher, auch vier Tage nach seinem Tod, immer noch zu kurz. Das des „Arschitekten“. Vielleicht kommt es zu kurz, weil seine ebenso wegweisende, wie namensgebende Arbeit nur wenige Tage das Licht der Welt erblickt hat und seither ihr Dasein im Museum fristet.

 

Die Suche nach dem Arschitekten Ungerer führt nach Plochingen. Dort, im ansonsten knochentrockenen Ratssaal, hat ein Trollinger-beseelter Tomi Ungerer vor zwölf Jahren den Entwurf einer öffentlichen Toilette vorgestellt: einen quadratischen Bau, dessen Außenwände ein umlaufendes Fries aus Toilettendeckeln zierte und das von der Nachbildung eines nachtleuchtenden, rosaroten menschlichen Hinterteils gekrönt war. An den Seitenwänden der Bedürfnisanstalt sollte ein grüner Frosch, das Markenzeichen des Künstlers, grüßen – und über dem Erlösung verheißenden Eingang der Schriftzug „Übung macht den Meister“.

Denkwürdige Pressekonferenz

Der Meister selbst ist nach dem arschitektonisch großen Wurf auch verbal zur Höchstleistung aufgelaufen. In einer denkwürdigen Pressekonferenz anlässlich der Enthüllung des Modells war natürlich zuerst die Rede von der wegweisenden Arschi-tektur gewesen. Aber auch um Po-litiker ist es gegangen. Die sollten ein Auge auf Plochingen werfen, denn, so schwärmte der immer besser in Fahrt kommende Künstler, schließlich habe die Nation fortan ihren Sitz am Neckarknie.

Jetzt müsse die Stadt ihren respektive seinen Arsch natürlich auch versilbern, forderte er. „Da werden wir Hüte herstellen“, sagte Ungerer und setzte sich die rosa Kuppel des Modells demonstrativ aufs ergraute Haupthaar. Eine gute Idee sei auch, das rosa Hinterteil im Schneegestöber einer Glaskugel zu vermarkten. Stuhlgang sei ohnehin besser als Untergang, und überhaupt denke er, Ungerer, schon ernsthaft darüber nach, sein eigenes Hinterteil der Stadt zu vermachen.

Nach derzeitigem Stand hat Plochingen weder das eine, noch das andere Hinterteil. Kaum enthüllt, hat der entfernt an eine Kuppel erinnernde rosa Modellhintern manchen Betrachter rot sehen lassen. Dorthin, wo auch der Kaiser zu Fuß gehen muss, wollten nicht alle Plochinger mitgehen. Der leuchtende Dach-Popo wurde dem Notdurfttempel zum Verhängnis.

Weich gespülten Entwurf umgesetzt

Die offizielle Lesart lautete, dass die Kuppelform des üppigen Hinterteils geeignet sei, die religiösen Gefühle von Muslimen zu verletzten. Unter der Hand hält sich allerdings hartnäckig das Gerücht, dem zutiefst pietistischen Plochingen habe die Idee, der unaussprechliche Körperteil würde den Blick auf die historische Ottilienkapelle verstellen, ordentlich Verdrückung bereitet.

Am 7. Februar 2007, gut zwei Monate nach der Vorstellung, hat Ungerer seinen Hintern zurückgezogen. Gebaut wurde ein weich gespülter zweiter Entwurf. „Es ist ein kindlich-fröhlicher Anziehungspunkt, der die vielfältige Straßenkunst in der Stadt sehr gut abrundet“, urteilt der Plochinger Bürgermeister Frank Buß heute aus der Sicht des Spätgeborenen. So wie das Sitzungsgebäude nun als belangloser Farbklecks an der Schorndorfer Straße steht, ist es schon vom Gemeinderat damals als „witzig, pfiffig und nett“ bezeichnet worden.

Der junge Ungerer hätte sich ob der Zuordnung „nett“ in den Hintern gebissen. Altersweise geworden, hätte er sich damit abgefunden. Ein Trost mag sein, dass das Attribut „nett“ in den Nachworten zu seinem an Brüchen und Provokationen reichen künstlerischen Lebenswerk genauso selten vorkommt, wie das Wort Arschitektur.