Bei einer Diskussion in Stuttgart-Rot zum Thema Bildungsgerechtigkeit kamen zahlreiche Probleme zur Sprache, mit denen sich Rektoren und Lehrer täglich konfrontiert sehen.

Rot - Nachgerade erdrückend sind die Fakten, die einschlägige Untersuchungen wie der Sozialdatenatlas oder der Kindergesundheitsbericht der Stadt über die soziale Lage und die Bildungschancen von Kindern im Stadtbezirk ergeben. In Rot zum Beispiel lebt jedes vierte Kind in einer Familie, die staatliche Transferleistungen bekommt. Das sind doppelt so viele wie im Gesamtdurchschnitt. In anderen Teilorten ist die Lage nur unwesentlich besser. Und was geschieht? „Nichts!“, stellte Alexander Mak, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins in Rot, zu Beginn der Veranstaltung „Mehr Bildungsgerechtigkeit!“ fest. Auf eine entsprechende Anfrage, die er als Bezirksbeirat vor einem halben Jahr gestellt habe, gebe es „bis heute keine Antwort“. Seine Reaktion: „Wir müssen selbst vor Ort aktiv werden, deshalb diese Veranstaltung heute.“

 

Bestandsaufnahme der Lage in den Schulen

Gedacht war die Podiumsdiskussion als eine Art Bestandsaufnahme der Lage in den Schulen mit Hilfe von Praktikern, um so angesichts der „besonderen Herausforderungen politische Handlungsansätze zu generieren“. Wie massiv den örtlichen Schulen die Probleme unter den Nägeln brennen, zeigte schon die einfache Eingangsfrage, wie man „Schulen besser unterstützen könnte“. Sie wirkte wie eine Art Dammbruch, denn die Akteure nahmen in der Folge kein Blatt vor den Mund: „Ich sehe dieses Elend, habe aber keinerlei Möglichkeiten, etwas dagegen zu unternehmen.“ So fasste Carmen Nasse, die Schulleiterin des Ferdinand-Porsche-Gymnasiums (FPGZ), ihren Befund zusammen, der da lautete: „Ich bin stolz, Leiterin einer multikulturellen Schule zu sein. Das ist so sehr ein Schatz wie es auch ein Problem ist. Wir kämpfen in sprachlicher Hinsicht.“ Zur Sprachförderung brauche es „Externe, die dafür bezahlt werden“. Was Baden-Württemberg bei der Ausstattung mit Schulsozialarbeitsstellen mache, sei „erbärmlich“. Nasse bekannte: „Wir versuchen, unter den gegebenen Bedingungen gute Schule zu machen. Aber wir sind verzweifelt.“ Wie ein hilfloser Hilferuf klang ihr Appell an die Zuhörerschaft: „Was auch immer Ihnen einfällt, um uns zu helfen, tun Sie’s!“

Nachdrücklicher waren die Darlegungen von Jana Bergemann, der Leiterin der Silcherschule: „Viele Kinder kommen mit einem Päckchen an Kummer in die Schule. Und es gibt Kinder, die freuen sich, wenn sie in die zweite Klasse kommen, weil sie dann Schwimmunterricht haben und endlich duschen können.“ Es bedürfe oft vieler Gespräche, um Kinder „überhaupt in die Lage zu versetzen, dass sie lernen können“. Dass in dieser Situation die Schule nur eine halbe Stelle Schulsozialarbeit habe, sei „ein Skandal“. Neben mangelhafter Sprachbeherrschung sei der „unglaublich hohe Medienkonsum der Kinder ein Problem“: mit der Folge, „dass die Konzentrations- und Anstrengungsbereitschaft immer geringer wird“. An die Eltern appellierte sie: „Bitte reduzieren Sie bei Ihren Kindern den Umgang mit elektronischen Medien!“

Fachpersonal und Räume für Schulsozialarbeit fehlen

Auf die Frage, wo man da „ansetzen könnte“, musste auch Elif Kaçmaz, Lehrerin am Porsche-Gymnasium, erst durchatmen: „Es gibt viele Probleme. Vor allem, wenn Eltern zuhause kein oder nicht gescheit Deutsch sprechen“. Im Übrigen hätten auch Kinder „ohne Migrationshintergrund Probleme mit Grammatik und Rechtschreibung“. Sie fände es richtig, „dass man auch mal strenger ist und Kinder zwingen sollte, was zu lesen anstatt am Smartphone zu spielen“. Sie führte dafür auch die eigene Biografie ins Feld: „Ich hatte Schwierigkeiten mit der Sprache. Das kann man nur lösen, wenn man sich hinsetzt und etwas tut.“ Kinder dazu anzuregen, auch mit Kursen und Nachhilfeangeboten, das sei „ein Ansatz“. Kirsten Steinle, Elternsprecherin vom Neuen Gymnasium, ergänzte, dass viele Gymnasiasten „schon zuhause keinen Zugang mehr zu Büchern“ hätten. Im Kern lief dann fast alles darauf hinaus, dass die Stadt entschieden mehr Ressourcen zur Verfügung stellen müsste: Fachpersonal, Räume für Schulsozialarbeit, Ausstattung. Und: Priorisierung der Sanierung von Vorstadtschulen, an denen „es brennt“. Abschließend sagte Alexander Mak: „Ich habe die Hoffnung, dass wir stark genug sind, Verbesserungen herbeizuführen. So wie es ist, kann es nicht bleiben!“