Auf Einladung von StZ, Roland Berger und L-Bank suchen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft den Weg aus der Klimakrise – mit teils überraschenden Argumenten.

Automobilwirtschaft/Maschinenbau: Matthias Schmidt (mas)

Stuttgart - Große Herausforderungen erfordern offenbar eine gewisse Radikalität im Denken. Wenn ein seit zehn Jahren regierender Ministerpräsident „richtig disruptive Schritte“ fordert, weil wir „in allem schneller werden müssen“, und wenn der Bosch-Chef ein weltweites Innovationsrennen ausruft und eine große Vision vergleichbar der historischen Mondfahrt fordert, dann scheinen sich gravierende Veränderungen für Wirtschaft und Gesellschaft abzuzeichnen. Provokative Fragen gehören wohl auch dazu.

 

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Die Stuttgarter Soziologie-Professorin Cordula Kropp hat so eine Frage am Montagabend formuliert: „Wie wird es sein, wenn der Liter Benzin zehn Euro kostet?“ Man müsse auch anscheinend überzeichnete Probleme durchdenken, um Lösungen zu finden. „Denn wir stehen weltweit vor der Situation, dass sehr viele Ressourcen knapp werden.“

Wie viel Visionen, wie viele Verbote sind nötig?

Es waren tatsächlich die grundsätzlichen, schwer wiegenden Fragen danach, wie die Welt soviel Veränderung und Innovation bewerkstelligen kann, um die Erderwärmung zu stoppen, die in der Rotunde der L-Bank in Stuttgart aufgeworfen wurden. Die „Lehren aus Corona“, das eigentliche Hauptthema des Abends, gerieten dabei fast zum Nebenpfad. Moderiert von Joachim Dorfs, dem Chefredakteur der Stuttgarter Zeitung, waren sich die Gesprächsteilnehmer im Wesentlichen einig, dass Deutschland Corona vergleichsweise gut bewältigt hat.

Yvonne Ruf, Partnerin der Unternehmensberatung Roland Berger, brachte es auf die Formel: „Wirtschaft und Gesellschaft haben schnell und pragmatisch gehandelt, aber es wurden auch strukturelle Herausforderungen beispielsweise bei der Digitalisierung offengelegt. Die müssen wir angehen, wenn es jetzt um die große Herausforderung geht: die Dekarbonisierung der Wirtschaft.“

Volkmar Denner, der Vorsitzende der Bosch-Geschäftsführung, sieht seinen Konzern bereits auf bestem Weg aus dem Tal. 2021 werde man das Vorkrisenniveau von 2019 bereits wieder übertreffen – trotz der vielfältigen Störungen in den Lieferketten. „Die Nachfrage ist in allen unseren Geschäftsbereichen sehr stark. Wir könnten schon deutlich schneller wachsen“, sagte Denner.

Bosch macht soviel Umsatz wie vor der Coronakrise

Viel grundsätzlicher als der momentane Chipmangel, der sich wohl deutlich länger auswirken werde als noch vor Monaten erwartet, beschäftige ihn die Frage, wie man die großen Herausforderungen bewältigen könne: „Wie schafft man es, Menschen zu Höchstleistungen zu motivieren? Indem man eine Vision formuliert, ein großes Ziel. Aber sicher nicht, indem man meint, jeden einzelnen Schritt vorgeben zu können.“ Denner wiederholte seinen schon öfter vorgetragenen Appell, die Politik solle kluge Ziele setzen und die richtigen Rahmenbedingungen für Innovationen schaffen, aber der Industrie und ihren Ingenieuren die Suche nach den Lösungen überlassen.“ Am Ziel aber gebe es überhaupt keinen Zweifel: „Es geht darum, den Klimawandel aufzuhalten. Wir müssen aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen.“

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Die Rahmenbedingungen, die dringend geändert gehören, formulierte in großer Eindringlichkeit Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Wir müssen gegen die Überbürokratisierung kämpfen, an die sich viele offenbar gewöhnt haben“, sagte der grüne Politiker. Geschwindigkeit sei entscheidend: bei den Genehmigungsverfahren zum Ausbau der erneuerbaren Energien („Wir brauchen Strom ohne Ende“), aber auch bei der Umsetzung von Grundlagenforschung in neue Produkte und Geschäftsmodelle.

Kretschmann: Die Welt wartet nicht auf Deutschland

„Bisher hat die Welt auf Deutschland und die Qualität unserer Produkte gewartet. Aber diese Zeiten sind rum. Die globale Situation zwingt uns, schneller zu werden“, sagte Kretschmann. Dabei könne er nicht versprechen, dass der Klimawandel zu stoppen sei, „ohne dass es jemand merkt“. Es werde nicht ohne Zumutungen gehen, aber es gelte, soziale Verwerfungen dabei zu vermeiden – zum Beispiel, in dem man untere Einkommensschichten beim Wohngeld besser stelle, wenn das Heizen teurer wird. Wichtig sei aber auch, alle Möglichkeiten zu nutzen, die man habe, sagte Yvonne Ruf von Roland Berger. „Dinge können sich auch exponentiell schnell zum Besseren verändern, wenn viele Chancen gleichzeitig wahrgenommen werden“, sagte die Wirtschaftsexpertin.

Die Soziologin Cordula Kropp formulierte dazu ein selten gehörtes Lob des Verbots. „Gebote sind tödlich, klare Verbote sind nötig“, sagte sie. Ungewohnte Töne – auch für Regierungschef Kretschmann, der für die Wahlkampfdebatte über die grüne Verbotspartei nur ein Wort fand: „unterkomplex“.