Roman Polanski verfilmt Yasmina Reza Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“ – und lässt die Hölle ins bürgerliche Wohnzimmer einziehen.

Stuttgart - Ganz harmlos, wie eine bloße Bubenrauferei, sieht das wirklich nicht aus. Zu Beginn von Roman Polanskis „Der Gott des Gemetzels“ zeigt uns die Kamera aus weiter Ferne, als ginge sie das gar nichts an, als schaue sie nur zufällig dorthin, eine Szene im Stadtpark. In einer Gruppe Kinder scheint es Knatsch zu geben. Einer geht schneller als die anderen, will wohl Abstand gewinnen. Dann aber hebt er zügig einen Ast auf, dreht sich um und zieht präzise und entschlossen diesen Knüppel einem anderen durchs Gesicht. Man kann das zumindest aus der Ferne für eiskalte Fiesheit halten, für den Ausbruch eines mitgefühlfreien Charakters.

 

Es ist also alles andere als gutbürgerliche Hysterie, Karriereeltern-Gluckentum oder Wahnprojekt der erlebnisoptimierten Windkanalkindheit, dass sich die Eltern des Täters und des Opfers treffen. Man will den Schaden regulieren, will einmal alles durchsprechen, will nicht, wie man so schön sagt, dass etwas zurückbleibt. Darin liegt der allerböseste Witz von Polanskis Verfilmung eines Theaterstücks von Yasmina Reza: dass dieses Treffen von zwei Paaren in der Wohnung des einen ein Akt der Vernunft, des Anstands und des Ausgleichs ist. Dass es aber trotzdem Satz um Satz, Blick um Blick, Geste um Geste in Unvernunft, Bosheit und Aggression entgleist.

Gastgeber auf dem Prüfstand

Jodie Foster und John C. Reilly spielen Penelope und Michael, die Eltern des elfjährigen Geschädigten und die mit jedem Einrichtungselement, jedem Getränk, jedem Fitzelchen Knabberzeug auf dem Prüfstand stehenden Gastgeber. Penelope ist eine verhinderte Großakademikerin, eine Autorin mit Weltbelehrungsdrang und der pneumatischen Fähigkeit, sich noch im Moment heftigster ideologischer Verkrampfung für locker zu halten.

Michael ist der Dulder an ihrer Seite, der sich nie eingestehen darf, dass er duldet, der aufs solide Teddybärenhafte Abonnierte, der gern ein bisschen anders auftreten würde und es ja auch in sich hat, plötzlich hinzustehen, zu vermitteln, dass in der Holzwollefüllung noch Zähne, Krallen und harte Knochen verborgen sind. Penelope hat nie alles bekommen, was sie wollte, Michael mehr abgegeben, als ihm lieb ist. Ganz lässig tun sie, nachgiebig, verständnisvoll, aber sie sind dabei reizbar, übelnehmerisch und am genauen Buchführen.

Polanski filmt eine Zimmerschlacht

Der Besuch ist kein minder schwieriges Paar. Christoph Waltz spielt den Anwalt Alan, der seine gepflegten Manieren immer mit einem Rand des Gequältseins bordiert, als hätte er anderswo Besseres zu tun und Wichtigeres zu reden. Dabei hilft ihm sein Handy, das ihn beständig aus der Situation ruft, die damit zur bloßen Kulisse seines gebieterisch bedeutsamen Telefonats verblassen muss. Alan ist gern ein wenig zynisch, wegwerfend, robust, gegen alles und jeden, erträgt es aber nicht, wenn man ihn auch nur im Mindesten ironisiert. Er ist ein Alphamännchen, bei dem grell deutlich wird, was heimlich auch Penelope und Michael antreibt, ein neurotisches Revierdenken, die beständige Suche nach einer Grenzverletzung durch andere.

Bei Penelope und Michael werden die Grenzverletzungen notiert, um sich das Maß der eigenen Toleranz bestätigen zu können. Alan geht stets sofort zum Angriff über, was besonders Nancy nervt, die von Kate Winslet gespielte Frau an Alans Seite. Nancy scheint zunächst die Kühlste, die am ehesten auf konventionelle Freundlichkeit Getrimmte, die Frau, für die das Lächeln und Nachgeben nur Techniken sind, um an ihre eigentlichen Ziele zu kommen. Aber Nancy, das wird sich zeigen, ist diejenige, die das alles am wenigsten aushält, die sich körperlich, wie ein Kotzanfall nahelegen wird, nach einem anderen Leben sehnt. Polanski filmt eine Zimmerschlacht, die stets frisch und giftig bleibt, und er schafft es dabei doch, die Figuren davor zu bewahren, Karikaturen zu werden.

Man kann „Der Gott des Gemetzels“ als logische Fortsetzung früherer Werke sehen. Polanski hat etwa in „Ekel“ (1965), „Rosemaries Baby“ (1968) und „Der Mieter“ (1976) von der Entartung normaler bürgerlicher Begegnungen und Verhältnisse erzählt, vom Befremdlichen hinter netten Fassaden. Dort aber lauerten dann auch Wahnsinn, Verbrechen, gar die Hölle. Nun ist alles viel ruhiger, unspektakulärer, darum aber auch bedrohlicher anzuschauen. Wir bringen es nicht fertig, einander zu begegnen, ohne das als Kräftemessen zu begreifen, zeigt Polanski. Die einzige Rettung? Man findet das hochkomisch!

Der Gott des Gemetzels. Deutschland, Frankreich 2011. Regie: Roman Polanski. Mit Jodie Foster, Kate Winslet, Christoph Waltz, John C. Reilly. 79 Minuten. Ab 12 Jahren. Atelier am Bollwerk, Gloria, OmU im Delphi