Vor zehn Jahren gründete sich die Alternative für Deutschland. Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer spricht über die Entwicklung der Partei – und ihr Interesse, noch immer eine konservativ-bürgerliche Fassade aufrechtzuerhalten.

Sport: David Scheu (dsc)

Als die AfD vor zehn Jahren die öffentliche Bühne betrat, war sie nur eine von vielen politischen Neuerscheinungen. Inzwischen ist die Partei zu einem festen Bestandteil der deutschen Parlamente geworden – und dabei mit der Zeit sukzessive nach rechts gerückt. Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer spricht über die Gründe für den anhaltenden Erfolg der AfD, mögliche Grenzen ihres Rechtsdralls und die schwierige Suche nach einem angemessenen Umgang mit Tabubrüchen.

 

Herr Vorländer, die AfD ist in 15 von 16 Landesparlamenten vertreten und weist bundesweit stabile Zustimmungswerte im zweistelligen Prozentbereich auf. Ist sie eine etablierte Partei, die langfristig bleiben wird?

Davon kann man ausgehen. Das ist kein kurzfristiges Phänomen mehr, sondern über Jahre gewachsen. Natürlich ist der Zuspruch im Osten um einiges höher als im Westen, aber die AfD ist mittlerweile eine in Gesamtdeutschland etablierte Partei.

Warum ist das innerhalb weniger Jahre gelungen?

Das hat zwei Gründe. Zum einen begünstigt die Ausdifferenzierung der Gesellschaft die Entstehung neuer Parteien. Es gibt eine Nachfrage nach einer Vielfalt politischer Ansprechpartner. Zum anderen konnte die AfD in mehreren Debatten Themen setzen und mit Positionen punkten, die von den anderen Parteien so nicht vertreten wurden. Erst 2013 durch die Kritik an der Euro-Rettung, dann ab 2015 als klare Anti-Migrationspartei. Sie hat in diesen beiden Krisen von einer Lücke im Repräsentationssystem extrem profitiert, diese aber auch genutzt.

Ist die AfD abhängig von Krisen?

Sie ist aus Krisen heraus entstanden und hat immer wieder versucht, krisenhafte Momente für sich zu nutzen. Inzwischen hat sich die AfD aber als Partei der Fundamentalkritik am System etabliert. Lediglich die Anlässe wechseln, zu denen sie diese Kritik zum Ausdruck bringt.

Aber glauben Sie nicht, dass diese Anlässe irgendwann ausgehen könnten?

Das sehe ich nicht. Einerseits wiederholen sich gewisse Themen, jetzt etwa bei den Geflüchteten aus der Ukraine oder aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Andererseits versucht die AfD inzwischen mehrere Felder des Protests und gesellschaftlicher Ängste zu besetzen: der Krieg in der Ukraine, die Inflation, die Energiewende, die Integration oder das Gendern zum Beispiel. Und die Umfragewerte zeigen, dass das überwiegend funktioniert.

CDU-Chef Friedrich Merz wollte den Stimmenanteil der AfD halbieren.

Dieses Ziel hat er ja selbst wieder einkassiert. Die AfD hat inzwischen eine eigene Wählerklientel, die in einigen Regionen stark verwurzelt und nicht ohne Weiteres zurückzugewinnen ist.

Ist das für die Union ein Problem?

Sie hat jedenfalls noch keine einheitliche Strategie im Umgang mit der AfD gefunden. Es gibt zwar den Beschluss zur Brandmauer nach rechts, die in der Praxis aber immer wieder Löcher aufweist durch Kooperationen auf lokaler Ebene wie in Sachsen. Und zumindest rhetorisch nimmt es auch Friedrich Merz mit der Abgrenzung nicht so genau, er fischt da immer mal wieder im Teich der AfD. Denken Sie an seine migrationskritischen Aussagen zum Sozialtourismus und den kleinen Paschas.

Ist klare Abgrenzung die bessere Strategie?

Mit Blick auf die vergangenen Jahre ist das mein Eindruck, ja. Reiner Haseloff hat auf diese Weise 2021 in Sachsen-Anhalt für die CDU einen glänzenden Wahlsieg eingefahren.

Wobei die AfD bei dieser Wahl auch mehr als 20 Prozent geholt hat. Warum ist sie gerade in Ostdeutschland so stark?

Der Osten wählt anders und hat ein anderes Verhältnis zu Parteien. Milieugeprägte Bindungen sind aus historischen Gründen nicht so ausgeprägt, wie es im Westen – noch – der Fall ist. Insofern ist der Wählermarkt offener, flüchtiger. Diese Differenzierung wird oft nicht vorgenommen. Die verhältnismäßige Stärke der AfD in den neuen Bundesländern lässt sich nicht auf eine einzige Ursache zurückführen. Es gab natürlich in den vergangenen Jahrzehnten politische Enttäuschungen, da wurde von vielen Parteien mehr versprochen als umgesetzt. Man darf aber auch die historische Sozialisation nicht völlig ausklammern. Viele Menschen sind skeptischer gegenüber dem Staat und seinen Institutionen, weil sie in der DDR von staatlichen Regelungsansprüchen überwältigt worden sind. Und sie hatten keine Erfahrung mit Zuwanderung. Das hat die AfD ab 2015 ausgenutzt.

Infolge der Flüchtlingskrise ist die Partei sukzessive nach rechts gerückt. Lässt sich diese Tendenz nochmal umkehren?

Ich sehe da wenig Spielraum, der Weg der vergangenen Jahre war eindeutig. Die AfD ist inzwischen eine klar rechtspopulistische Partei, in Ostdeutschland teilweise offen rechtsextrem. Und den Marsch zurück in das bürgerlich-konservative Milieu kann sie auch deshalb nicht antreten, weil das schon von der CDU besetzt ist und Friedrich Merz hier das Profil nach der Merkel-Ära zu schärfen versucht. Nicht nur die CDU muss sich von der AfD unterscheiden, das gilt aus strategischen Gründen auch umgekehrt.

Die Position Björn Höckes wurde zuletzt immer stärker. Befindet sich die AfD auf dem Weg zu einer gesamtdeutschen rechtsextremen Partei?

In Teilen ja. Das hängt von der Stärke und Durchsetzungsfähigkeit der unterschiedlichen Strömungen ab. Doch wird die AfD immer noch ein Interesse an der Aufrechterhaltung einer konservativ-bürgerlichen Fassade haben.

Warum?

Sie steht unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz, was ja in ein Verbotsverfahren münden könnte. Deshalb muss sie dem Eindruck einer offen verfassungsfeindlichen, gar verfassungswidrigen Partei entgegentreten. Schließlich profitiert die AfD stark von ihrer parlamentarischen Verankerung und der staatlichen Parteienfinanzierung.

Regierungsfähig wird die AfD aber so oder so auf absehbare Zeit nicht sein, oder?

Nein, das will sie auch gar nicht. Sie hat Gefallen in ihrer Rolle als Fundamentalopposition im Parlament und auf der Straße gefunden. Sie braucht für ihren Erfolg diese Rolle. Deshalb will sie auch nicht konstruktiv eingebunden werden. Denn dann wäre sie ja offen Teil des politischen Establishments, das sie beständig kritisiert. Sie würde ihr stets einsetzbares populistisches Instrumentarium verlieren.

Die Politik in Deutschland hat die AfD in dieser Oppositionsrolle dennoch geprägt.

Ganz erheblich sogar. Die politische Kultur ist durch die AfD rauer, enthemmter, kompromissloser geworden. Man muss aber festhalten, dass hier auch die sozialen Medien eine entscheidende Rolle spielen.

Inwiefern?

Die Debatte dort neigt zur Zuspitzung. Wie soll es auch anders gehen mit nur 280 Zeichen pro Nachricht auf Twitter? Da ist keine abgewogene Argumentation möglich. Die Verkürzung auf Schlagwörter, Hetze, Hass, die Empörungskultur, die Argumentation in der eigenen Blase – all das sind Dinge, die der AfD sehr entgegen kommen. Deshalb nutzt sie die sozialen Medien ja auch intensiv.

Könnte man dem entgegenwirken?

Völlig zurückdrehen lässt sich die Zeit nicht mehr. Aber ein Mehr an persönlichen Begegnungen würde sicher helfen, Zivilität und ein stärkeres Interesse am Gegenüber in die Auseinandersetzungen zu bekommen.

Zur Person

Vorsitz
Hans Vorländer (68) ist Direktor des Zentrums für Verfassungs- und Demokratieforschung an der Universität Dresden. Seit Beginn dieses Jahres hat er zudem den Vorsitz des Sachverständigenrats für Integration und Migration der Bundesregierung inne.

Experte
Vorländer hat zahlreiche Bücher zu Themen wie Einwanderung und Populismus veröffentlicht. Er befasst sich seit Jahren mit Formen der Protestkultur, vor allem in Ostdeutschland.