Beim Aschermittwoch in Passau erlebt Peter Gauweiler in der Rolle des alten Strauß eine Renaissance. Kein Problem, wenn er sich selbst widerspricht – das Publikum feiert ihn.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Passau - Immer noch gebührt dem größten aller großen Vorsitzenden das erste Wort, wenn in Passau bei der CSU der Politische Aschermittwoch begangen wird. Dieses Mal zeigt sich in der Dreiländerhalle im Intro-Teil via Schwarz-Weiß-Film Franz- Josef Strauß frohgemut an der Fahrradpumpe, wie er – Multitasker schon vor der ersten Stunde des Multitaskings – gleichzeitig lässig einen Fahrrad-Reifen startklar macht und das Publikum adressiert, bevor er wieder einmal allen davonfährt, über den Feldweg Richtung Horizont. Botschaft: Es sei an der Zeit, verantwortungsvolle Politik zu gestalten, nicht zu verwechseln „mit Phraseologie“. Sagte Strauß so. Möglicherweise gab es keine Retro-Clips mehr, die bei Huldigungen noch nicht zur Aufführung gekommen sind, und da hat man eben diesen genommen – den mit der Pumpe. Passauer Politischer Aschermittwoch ohne Phrasengedresche hieße aber doch wohl: kein Passauer Politischer Aschermittwoch. Nicht schade drum, natürlich.

 

Was gesagt wird gehört nicht auf die Goldwaage

Umgedreht wir man kaum behaupten können, dass die CSU mit ihrem faschingsverlängernden Rhetorik-Klimbim allein auf weiter niederbayerischer Flur stünde. Martin Schulz zum Beispiel, der Präsident des Europaparlaments, redete zeitgleich bei der SPD im benachbarten Vilshofen. Das ist der Ort, von dem aus der in anderthalb Wochen bei den Kommunalwahlen scheidende Münchner Oberbürgermeister Christian Ude im letzten Jahr an der Seite von Peer Steinbrück verkündete, es könne demnächst zu gleich zwei wichtigen Machtwechseln kommen. Das hat dann einmal ganz und gar nicht und das andere Mal nur ganz knapp geklappt, allerdings ohne die Beteiligung von Peer Steinbrück. Man sieht, dass man, was am Aschermittwoch in Niederbayern bei politischen Versammlungen gesagt wird, nicht nur nicht auf die Goldwaage legen sollte, sondern eigentlich gar nicht groß wiegen. Den Politischen Aschermittwoch indes einfach ausfallen zu lassen wegen unter anderem inhaltlicher Nichtig- bis Peinlichkeit, fällt auch keinem ein.

Seehofers Heimspiel Foto: dpa

Horst Seehofer mag den Politischen Aschermittwoch in Passau, all seinem Beteuerungen vom „Vitaminstoß“, den es stets vor Ort gäbe, zum Trotz, nicht besonders – und hat sich in den letzten Jahren damit beholfen, Edmund Stoiber als persönliche Vorgruppe auftreten zu lassen. Es lag in der Natur der Sache, dass Seehofer danach nur noch eine Art Ko-Referat zustande brachte.

Eine bizarre Konstellation

In diesem Jahr war der Ehrenvorsitzende selbstverständlich auch anwesend, wurde auf der Bühne jedoch durch Peter Gauweiler abgelöst. Eine leicht bizarre Konstellation. Stoiber hat Gauweiler vor zwanzig Jahren als Minister geopfert – und nicht ungerne. Von da an führte Gauweiler – und führt als Mitglied des Bundestages und erfolgreicher Anwalt – ein störrisch-kauzig-kantiges Eigenleben in der CSU, wurde jedoch von Seehofer auf den letzten Münchner Parteitag hin wieder heimgeholt: Gauweiler ist jetzt einer von etlichen stellvertretenden Parteivorsitzenden und irgendwie dafür zuständig, dass er Sachen raushaut, die leicht nach Stammtisch klingen, aber weniger nach Dorfkonvent, sondern mehr nach Stammtisch emeritierter, sehr konservativer Hochschulprofessoren, die pekuniär abgesichert sind – und sich zum Ausgleich ein bisschen volkstümlich gehen lassen. Im Zweifelsfall kann die CSU also auf Gauweiler verweisen und behaupten, dass der „Pedda“ (Seehofer) es ja gesagt habe, während dann tatsächlich anders verfahren wird, weil es national und europäisch meist eben nicht pfeilgrad danach geht, was die CSU vorbildlich findet.

Beim Einzug in den Festsaal dominieren die großen Männer. Foto: dpa

Gauweiler ist physiognomisch kein Riese. Zuschauer in Passau sehen beim Einmarsch Seehofers Scheitel und Stoibers hohe Stirn. Gauweiler gar nicht. Mit dem Mund jedoch ist Gauweiler wohl unzweifelhaft der größte, den es seit Strauß in der CSU gegeben hat, und er ist es deshalb, weil er das Original bis ins Mimische und Verbalmarotten hinein teils antikisierend kopiert, teils zeitgemäß aufnorden kann. Ein Manuskript braucht Gauweiler nicht, er hat nur eine lose Blättersammlung dabei, Zentralbegriffe reichen. Folgerichtig gibt es keine wirkliche Struktur in diese Rede, vielmehr fällt sich Gauweiler selbst ins Wort. Er ist also sozusagen ein Gesamtstammtisch. Dazu braucht keinen anderen. Außer Strauß.

Strauß hat immer alles gewusst. Zum Beispiel, sagt Gauweiler, habe Strauß, der 1978, nach seinem „legendären“ Flug nach Moskau in Passau, weiland noch in der Nibelungenhalle und am Aschermittwoch, erklärt, dass die „Welt immer kleiner“ werde: der Osten rücke an den Westen heran. Für sich genommen ist das auch damals keine bahnbrechende Erkenntnis gewesen, doch Gauweiler versteht sich auf die Kunst, aus Banalität Glorifikation werden zu lassen: „Ohne Strauß hätte der Westen nicht durchgehalten, bis Gorbatschow kam.“ Das nun wieder ist noch nicht einmal als privathistorische Grille ernst zu nehmen, tut aber seine Wirkung.

CSU ist keine „Wachtelbrüstchen und Prosecco“-Partei

Gauweiler hat, jeweils als Goldmedaillon gefasst, Strauß und Ludwig II. am Revers seines Trachtenjankers stecken: zwei Charaktere, die sich, vorsichtig ausgedrückt, manchmal ein bisschen schwer taten mit dem Unterschied zwischen Wahn und Wirklichkeit. Geht es nicht um Strauß, verpackt Gauweiler seine bekannte Dauerkritik an EU, Euro und außerbayerischem Deutschland in diverse Kabarettnummern mit unterschiedlichem Anspruch: solange er am Boden bleibt, macht er den Leuten dabei klar, dass die CSU keine „Wachtelbrüstchen und Prosecco“-Partei ist, und warum das gut sei. Wenn aber der Gaul durchgeht mit ihm, kommt Gauweiler ohne größere Umschweife von den Denaren des Marc Anton (gefunden in Passau), über Heinrich den Löwen zu Andersens Märchen, wo der Kaiser nackt ist, und es ein Kind braucht, um das festzustellen. Und wo wären die Kaiser heute? Stichwort reicht. Gauweiler sagt „Brüssel“, und die Halle tobt. Man kann auf diese Weise natürlich keine Politik machen. Aber Peter Gauweiler will auch keine Politik machen. Sondern Stimmung.

Ein tiefer Schluck, bevor er zur Euro-Schelte antritt: Peter Gauweiler Foto: dpa

Über lang (kurz kann man nicht sagen) und über Alain Finkelkraut, die Offenbarungen des Johannes und Jürgen Habermas („ganz bestimmt kein Autor des ,Bayernkurier‘!“) ergibt sich bei Gauweiler das alte Strauß-Problem: er hört sich zu gern reden. Unklar ist, welchen Eindruck der Mann auf die anwesenden russischen und amerikanischen Generalkonsuln macht: jedenfalls bemühen die beiden sich um freundliche Mienen. Wie auch Seehofer. Der sagt: „So was gibt’s nur in der CSU und nur in Bayern.“ Und wo er Recht hat, hat er Recht.

Der erste Satz in Seehofers, nun ja, Rede, ist zugleich auch der beste. Substanzieller wird er nicht, Denn Seehofer ist zwar als Ex-Agrarminister, wie er anmerkt, „Ehrendoktor der Universität Kiew, mit lebenslangem Wohn- und Verpflegungsrecht“, aber auch Großkoalitionär in Berlin. Von der SPD in der Hauptstadt darf er nicht, von der SPD daheim muss er nicht reden. Seehofer rettet sich in einen Exkurs zu europäischen Bürokratieexzessen und dann geschwind ins Sportliche. Er hofft, dass sowohl der „FC Bayern in der Ersten Liga bleibt“, also nicht, wie anzunehmen, kollektiv außerirdisch wird, und sein Heimatklub, der FC Ingolstadt, „in die Erste Liga kommt“. Das war lustig. Immerhin.