Ein 22-jähriger Flüchtling soll versucht haben, einen Beamten über ein Geländer zu stoßen. Eine Kammer am Landgericht Heilbronn glaubt, er habe beabsichtigt, den Polizisten zu töten.

Bietigheim-Bissingen - Weil er einen Polizeibeamten in einer Höhe von 3,70 Meter über eine Brüstung werfen wollte, ist ein 22-Jähriger zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden. Eine Kammer am Landgericht Heilbronn sah es als erwiesen an, dass der junge Mann den Polizisten töten wollte. Dass es nicht dazu kam, sei nur einer Polizeistreife zu verdanken, der es gerade noch rechtzeitig gelungen sei, den Angreifer, der in einer Flüchtlingsunterkunft in Bietigheim-Bissingen randaliert hatte, zu überwältigen. Der Angeklagte hatte im Laufe des Verfahrens wenig ausgesagt, aber stets seine Unschuld beteuert.

 

Bedroht, bespuckt, beleidigt

Der junge Mann wurde auch am Montag, dem letzten Verhandlungstag in diesem seit Mai verhandelten Strafverfahrens, an Händen und Füßen gefesselt und eskortiert von vier Justizbeamten in den Gerichtssaal geführt. Eine eher ungewöhnliche Behandlung, die erst nachvollziehbar wird, sobald man weiß, was dem Angeklagten zur Last gelegt wird.

Demnach hatte sich der aus Gambia stammende junge Mann im Jahr 2018 bei diversen Anlässen sehr aggressiv verhalten  Er hat andere, mit ihm in der gleichen Unterkunft lebende Flüchtlinge mit einem Messer bedroht und terrorisiert, er hat sich mit dem Hausmeister einer Unterkunft angelegt und er hat bei mehreren Gelegenheiten Polizeibeamte getreten, beleidigt, bespuckt und bedroht.

Das Ganze gipfelte in einer offenbar völlig überraschenden Attacke gegen einen Polizeibeamten, der ihn am 6. Dezember in der Unterkunft in Bietigheim aufsuchte, „um zu deeskalieren“, wie der Vorsitzende Richter Roland Kleinschroth während der Urteilsverkündung betonte.

„Als hätte jemand einen Schalter umgelegt“

Der Mann, der zuvor einen Mitarbeiter des Flüchtlingsheims beschimpft und bedroht hatte, schien sich wieder beruhigt zu haben. Doch als der Polizeibeamte vor seinem Zimmer stand, begann er erneut zu toben. Es habe die Gefahr bestanden, dass der Polizist kopfüber in die Tiefe stürzt, sagte Kleinschroth. Zumal der Angeklagte schon damit begonnen hatte, die Beine seines Opfers auszuhebeln. Während das Gericht zu der eindeutigen Auffassung gelangte, dass eine Tötungsabsicht vorlag, so der Vorsitzende Richter, konnte nicht wirklich geklärt werden, was den jungen Mann, der 2015 über Libyen und das Mittelmeer nach Europa geflüchtet war, so verändert hat.

Denn alle, die den heute 22-Jährigen, der seit 2016 in Deutschland lebt, kannten, hielten große Stücke auf ihn: Er galt als nett, freundlich und friedlich. Einer, auf den sich die Leitung der Flüchtlingsunterkunft glaubte verlassen zu können und den sie deshalb mit Aufgaben betraut hatte. „Doch dann war es, als hätte jemand bei Ihnen einen Schalter umgelegt“, sagte der Vorsitzende Richter.

Regelmäßiger Drogenkonsum

Der bisher zuvorkommende junge Mann verwandelte sich in einen dauerhaft wütenden und immerzu aggressiven Menschen. Es gibt Erklärungsversuche: Der Gambier, der auf einem Schlepperboot nach Lampedusa gelangt und dann von Italien aus illegal nach Deutschland gekommen ist, wusste seit Januar 2018, dass sein Asylantrag abgelehnt worden war. Und er hat ein Drogenproblem.

Das Gericht leitete von der Suchtkrankheit eine verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten ab. Und es hielt ihm zugute, dass er relativ jung ist und dass er seine Vergehen nicht vorbereitet, sondern spontan verübt hat. „Aber das Gesetz ist für alle gleich“, sagte Kleinschroth. „Da ist es egal, ob einer in Deutschland geboren ist oder in Gambia.“

„Kein schlimmer Korpsgeist“

Auf der anderen Seite hätten sich die Polizeibeamten tadellos verhalten, sagte der Richter. „Niemand wollte ein Exempel statuieren“, sagte Kleinschroth, „und es herrschte kein schlimmer Korpsgeist unter den Beamten.“ Die Polizisten hätten sich nicht abgesprochen, jeder habe die Ereignisse aus seiner Sicht geschildert. Und auch der Beamte, den er über die Brüstung werfen wollte, habe „keine Belastungstendenz“ gezeigt.

Da der Angeklagte immer wieder beteuert hatte, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, hatte seine Verteidigerin einen Freispruch beantragt. Die Staatsanwaltschaft forderte dagegen eine Haftstrafe von sechs Jahren. Auch wenn der Angeklagte die meiste Zeit geschwiegen habe, die Beweisführung sei eindeutig und eine Haftstrafe von fünf Jahren angemessen, meinte das Gericht.